Vorlesen für Toleranz und Weltoffenheit

Zum heutigen bundesweiten Vorlesetag wird natürlich auch hier wieder leidenschaftlich vorgelesen. Dieses Jahr als Beitrag zu einer regionalen und sehr unterstützenswerten Aktion der Aktionsgemeinschaft für Kinder- und Frauenrechte e.V. in Dresden, die dazu aufruft, Bücher vorzulesen, die den kleinen LeseEntdeckern in besonderem Maße dabei helfen die derzeitige Situation in Europa und der Welt besser zu verstehen und gleichzeitig zum Nachdenken über Toleranz und das Zusammenleben in unserer Gesellschaft anregen. Bücher, die zeigen, was passiert, wenn wir uns mit Wärme und Offenheit begegnen.

Ein Bilderbuch, das uns in diesem Zusammenhang besonders berührt hat, nehmen wir heute mit und begeben uns zu einem Schauplatz aus der Geschichte – um genau dort daraus vorzulesen.

Zuhause kann überall sein von Irena Kobald, illustriert von Freya Blackwood und übersetzt von Tatjana Kröll, erschienen im Knesebeck Verlag.

Zuhause kann überall sein © Knesebeck GmbH & Co. Verlag KG, Illustrationen: Freya Blackwood

Zuhause kann überall sein © Knesebeck GmbH & Co. Verlag KG, Illustrationen: Freya Blackwood

Ein kleines Mädchen aus Afrika erzählt uns darin ihre Geschichte. Wildfang wird sie genannt und noch auf der ersten Seite des Buches kann man ihr beim Wildsein wunderbar zusehen. Vergnügt schlägt sie da vor dem bunten Treiben ihres Dorfes ein Rad. Doch dann kommt der Krieg und alle Unbeschwertheit scheint vorbei zu sein. Wildfang wird nicht länger Wildfang genannt und flieht zusammen mit ihrer Tante in ein anderes Land. Ein Land, in dem für das Mädchen alles fremd ist – sogar das Gefühl des Windes auf dem Gesicht.

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Vorlesen im Park – Innenseite aus: Zuhause kann überall sein © Knesebeck GmbH & Co. Verlag KG, Illustrationen: Freya Blackwood

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Innenseite aus: Zuhause kann überall sein © Knesebeck GmbH & Co. Verlag KG, Illustrationen: Freya Blackwood

Auch wenn sich die kleine Protagonistin in dem neuen Land nun sicherer fühlt und den Krieg hinter sich lassen konnte – Geborgenheit empfindet sie nicht. Wie ein kalter Wasserfall strömen all die fremden Wörter und Geräusche Tag für Tag auf sie ein. So zieht sie sich zurück in die eigene Welt mit der eigenen Sprache und den vielen schönen Erinnerungen. Nur dort scheint sie noch sie selbst sein zu können.

Ein Gefühl, das wohl alle Kinder, die nach der Flucht in einem neuen Land ankommen, empfinden werden. Für Kinder wiederum, die ihre Kindheit hier in Frieden verbringen können, ist dieses Gefühl nicht immer einfach nachvollziehbar – wie auch? Von umso größerer Bedeutung ist daher Irena Kobalds besondere Herangehensweise die Gefühlswelt des kleinen afrikanischen Mädchens in ein wunderschönes Sprachbild zu übersetzen, das schon die Allerkleinsten verstehen können. Sie lässt das Mädchen unter einer Decke ihrer eigenen Worte und Geräusche Platz nehmen, sich einkuscheln und ganz damit zudecken. Sie erklärt so sinnbildlich, was es braucht, um sich wirklich geborgen zu fühlen.

Im Gegensatz zur farblich kalt und blass dargestellten fremden Außenwelt ist die Decke in den warmen und gesättigten Farben aus der Heimat des Mädchens gehalten. Durch diesen farblichen Kontrast gelingt der Illustratorin Freya Blackwood neben der sprachlichen zudem auch die bildnerische Übersetzung der Emotionen des Mädchens. Das Fremde und das Vertraute lassen sich so im Verlauf der Geschichte immer sehr konkret voneinander unterscheiden – auch noch als die kleine Ich-Erzählerin auf dem Spielplatz die Bekanntschaft mit einem Mädchen macht, das ihr ganz offen und freundlich gegenübertritt.

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Vorlesen im Park – Innenseite aus: Zuhause kann überall sein © Knesebeck GmbH & Co. Verlag KG, Illustrationen: Freya Blackwood

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Innenseite aus: Zuhause kann überall sein © Knesebeck GmbH & Co. Verlag KG, Illustrationen: Freya Blackwood

Der farbliche Kontrast nimmt aber ab dieser Schlüsselszene von Seite zu Seite immer etwas mehr ab und die Farbwelten scheinen sich kontinuierlich aneinander anzunähern. So auch unsere kleine Protagonistin und ihre neue Freundin in der Geschichte. Erst winken sie sich nur zu, lächeln sich an, schaukeln dann mit- und finden schließlich zueinander. Worte sind dafür am Anfang erst einmal nicht notwendig.

Nach und nach lernt die neue Freundin dem Mädchen die neue Sprache – bringt ihr bei jedem Treffen neue Worte mit und lässt sie diese ganz oft wiederholen. Im Text kommen diese Worte in ihrem genauen Wortlaut allerdings nicht vor – auch sie werden ins Bild übersetzt. Einfach gezeichnete Symbole zeigen den kleinen LeseEntdeckern, um welche Wörter es sich handelt. Erst ganz flüchtig hinskizziert, kann aus ihnen schon bald eine neue Decke gewoben werden – eine Decke, die dem Mädchen mit etwas Hilfe und Geduld schon bald die verloren geglaubte Geborgenheit wiedergeben wird. Eine Decke, die eines Tages genauso warm, weich und gemütlich wie die alte sein wird.

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Detail aus: Zuhause kann überall sein © Knesebeck GmbH & Co. Verlag KG, Illustrationen: Freya Blackwood

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Innenseite aus: Zuhause kann überall sein © Knesebeck GmbH & Co. Verlag KG, Illustrationen: Freya Blackwood

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Innenseite aus: Zuhause kann überall sein © Knesebeck GmbH & Co. Verlag KG, Illustrationen: Freya Blackwood

Viele Dinge, die sich in unserer Welt ereignen, machen uns zusehends sprachloser und hinterlassen ein Gefühl von Ohnmacht – sei es hier vor Ort oder aber viele Kilometer entfernt. Doch genau diese Sprachlosigkeit und ein eventuell daraus folgendes Schweigen helfen uns und vor allem unseren Kindern am wenigsten weiter. Denn Kinder fragen, wollen verstehen und bekommen meistens viel mehr mit, wie wir glauben. Sie hören unsere Gespräche  – mit den vielen für sie unbekannten Wörtern und ungewohnten Tonlagen in unseren Stimmen. Sie lernen Kinder kennen, die ihre Heimat verlassen mussten und nun bei uns hier ein neues Zuhause suchen. Sie hinterfragen all dies erst für sich – finden allein aber keine Antworten. Sie brauchen uns, um die Dinge einordnen zu können. Und genau darin liegt die große Chance. Die Chance ihnen die richtigen Antworten mit auf den Weg zu geben ohne ihnen dabei aber eine feste Meinung vorzugeben.

Bilderbücher sind dafür genau die richtigen Begleiter. Sie helfen uns einfache, verständliche Antworten zu finden und lassen uns mit den kleinen LeseEntdeckern ins Gespräch kommen. Zuhause kann überall sein leistet diesen Beitrag in besonderem Maße und auf eine wunderbar einfühlsame Art und Weise.

Wir hoffen es wird am heutigen bundesweiten Vorlesetag ganz oft zur Hand genommen und vorgelesen. Für mehr Toleranz und Weltoffenheit – für eine bessere Zukunft hier und überall auf der Welt.

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