In den letzten Monaten haben wir uns aus ganz speziellen Gründen sehr intensiv mit einem bestimmten Thema auseinandergesetzt. Wir haben recherchiert, waren unterwegs und haben eine Begeisterung entwickelt, die wir nun hier gern teilen möchten – sozusagen als Auftakt in den Bücherherbst, wo hier wieder mehr zu lesen sein wird.
Es sind zwei Künste, um die es in den folgenden Zeilen gehen soll. Zwei Medien, die kleine LeseEntdecker auf ganz verschiedene Art und Weise erreichen, dabei aber ein gemeinsames Ziel haben: zu bewegen und zu berühren. Wir sprechen von der Kinderliteratur auf der einen und dem Kindertheater auf der anderen Seite. Die Verbindung beider Seiten eröffnet neue Chancen und trägt in unseren Augen ein enormes Potential in Sachen Leseförderung in sich. Denn wird aus einer Kinderbuchvorlage ein Theaterstück, haben wir es mit einer Verwandlung zu tun – man könnte auch sagen: eine Metamorphose vom Buch auf die Bühne. Das Ergebnis dieses Verwandlungsprozesses ist dann ein medienübergreifendes Erlebnis. Das macht aus einem vertrauten Bilder- oder Kinderbuch durch Adaption und Bearbeitung eine Inszenierung fürs Theater und ermöglicht es Figuren sowie Inhalte auf sehr unmittelbare Art und Weise zu erleben und neue Perspektiven auf eine Geschichte zu bekommen.
Wie das konkret aussehen kann, haben wir hier schon an verschiedenen Stellen gezeigt und beschrieben, welche Bereicherung ein Besuch der Inszenierung für den Bezug zum Buch sein kann – vor allem für die kleinen Zuschauer. Darüber hinaus sind wir generell der festen Überzeugung, dass Theater für Kinder eine wichtige Erfahrung darstellt und in jedem Falle gefördert werden sollte. Und da trifft es sich natürlich hervorragend, dass es sich bei dem Verwandlungsprozess von der Kinderbuchvorlage zum Kinderstück an deutschsprachigen Theaterhäusern definitiv um keine Ausnahmeerscheinung, sondern viel mehr um einen wichtigen Baustein der Spielplanentwicklung handelt. Im Schauspielbereich für ein junges Publikum beispielsweise dominieren Stücke nach literarischen Vorlagen den Spielplan und auch im Puppentheaterbereich spielen Bilder- und Kinderbücher, Märchen oder Klassiker eine sehr wichtige Rolle.
Weil dem so ist und wir bei dieser Gelegenheit gern auch die Vielfalt der deutschen Kindertheaterszene aufzeigen wollen, haben wir uns noch einmal drei besondere Stücke ausgesucht, um sie hier exemplarisch vorzustellen. Zwei davon sind Inszenierungen am Theater der jungen Generation hier in Dresden und zeigen stellvertretend für viele deutsche Kinder- und Jugendtheater, wie individuell und vielfältig Kinderbuchstoffe auf die Bühne gebracht werden können.
Wir durften sie uns in den komfortablen Sälen der neuen Wirkungsstätte anschauen. Erst Ende letzten Jahres ist das gesamte Theater ins Zentrum der Stadt gezogen, um im Kraftwerk Mitte – dem neuen Kultur- und Kreativzentrum Dresdens – näher an seinem Publikum dran zu sein und so mehr junge Menschen mit mehr Theater zu erreichen.
Dort verfügt das tjg. nun über drei sehr unterschiedliche Bühnen, die wiederum von den drei Sparten Schauspiel, Puppentheater und Theaterakademie auf sehr unterschiedliche Art und Weise genutzt und bespielt werden können. Zur kleinen Bühne beispielsweise gehören ganz wunderbare große Familiensitze, die gerade bei Vorstellungen für die jüngsten Gäste von großer Bedeutung sind. Wir haben uns darin das Stück angeschaut, das nun hier als erstes vorgestellt werden soll.
Ein Märchen von Blexbolex und übersetzt von Edmund Jacoby, erschienen bei Jacoby & Stuart. Am tjg. Theater der jungen Generation Dresden als Assoziationstheaterstück in einer Fassung von Nils Zapfe aufgeführt.
Bei der Vorlage der Inszenierung handelt es sich um ein sehr außergewöhnliches Bilderbuch, das sich besonders durch seine Machart, seinen Stil und die Erzählweise auszeichnet. Alles Faktoren, die sich auf den ersten Blick nicht so einfach auf die Bühne übertragen lassen, könnte man meinen. Und auch inhaltlich gesehen, erhält die Geschichte ihren unvergleichlichen Charakter vor allem durch das Umblättern der Seiten des Buches. Denn der Illustrator Blexbolex erzählt die alltägliche Geschichte eines Schulweges mithilfe der Form des Kreisliedes und unter Verwendung zahlreicher Märchenmotive immer wieder neu. Der Abfolge der Illustrationen und der dazugehörigen Schlagworte kommt also eine große Bedeutung zu.
Mit jedem Kapitel (sieben gibt es insgesamt) erweitert sich der Weg des Kindes von der Schule nach Hause und aus einer alltäglichen Beschreibung wird ein Abenteuer, das Blexbolex mit seinen – wie gewohnt – sehr bunten und ausdrucksstarken Bildern zu einem wahren Augenschmaus für Klein und Groß werden lässt.
Ein Augenschmaus für das Theaterpublikum war dann auch die Inszenierung am tjg. – allerdings auf eine ganz andere Art und Weise. Im Gespräch mit der Chefdramaturgin am tjg. Dr. Kathi Loch haben wir erfahren, dass es bei dieser Adaption vor allem darum ging, die besondere Erzählweise samt Kapitelstruktur und somit die Form des Sprachspieles beizubehalten und für das Theater zu nutzen. Die Bildästhetik wurde komplett neu gesucht und der Inhalt an sich sollte nicht vorrangig betrachtet werden.
Und so ist ein Stück entstanden, das über Materialien, Masken sowie Geräusche und Klänge bestimmte Assoziationen beim Publikum hervorruft, über die die Geschichte erzählt wird. Das kommt vor allem bei den Kindern besonders gut an. Wo die Erwachsenen noch skeptisch drein schauen und nicht so recht wissen, was ihnen da geboten wird, haben die Kleinen das Prinzip schon längst verstanden. Natürlich verfolgt man mit dieser Inszenierung einen sehr künstlerischen, fast experimentellen Ansatz, aber genau das ist unserer Meinung nach das richtige Pendant zu dieser besonderen – eben auch fast experimentellen Vorlage.
Die Schauspieler sind reine Verwandlungskünstler und treiben das Spiel des Kreisliedes durch den regelmäßigen Rollentausch sogar zu seinem Höhepunkt. Es ist nicht wichtig, wer den Fremden, den Kobold oder die Königin nun gerade spielt – die Geschichte nimmt einfach ihren Lauf und nimmt das Publikum dabei ganz selbstverständlich mit.
Auch wenn man am tjg. bei dieser Inszenierung natürlich ordentlich die Mittel der Reduzierung und Beschleunigung gegenüber seinem literarischen Vorbild angewandt hat, so haben wir am Ende dennoch nichts vermisst. Wir hoffen das Stück kommt diese Spielplansaison noch einmal auf die Bühne.
In der Fortsetzung unserer Auseinandersetzung mit dem Wechselspiel zwischen Kinderliteratur und Kindertheater werden hier außerdem noch die Stücke Sindbad, der Seefahrer sowie Akim rennt vorgestellt.