Ronja Räubertochter auf der Großen Bühne

Wenn man von einem rothaarigen starken Mädchen in Verbindung mit Astrid Lindgren erzählt, ist eigentlich klar, von wem die Rede ist. Doch Moment, so klar dann doch wieder nicht – zumindest wenn man sich die diesjährige Weihnachtsinszenierung am tjg. – Theater junge Generation in Dresden angeschaut hat. Denn dort kann Ronja Räubertochter ohne weiteres mit ihrer wohl etwas bekannteren Figurenschwester Pippi Langstrumpf mithalten. Weder im Starksein, noch was die Intenstiät der roten Haarfarbe betrifft, steht sie ihr nach. Ronja Räubertochter mit einem herrlich krausen, roten Lockenkopf gibt es so nur im Theater – wir haben sie gesehen und wieder einmal mehr gestaunt, wie sehr eine Geschichte doch von ihrer Wechselwirkung zwischen Buch und Bühne profitieren kann.

Ronja Räubertochter von Astrid Lindgren, erschienen im Friedrich Oetinger Verlag. Am tjg. Theater der jungen Generation Dresden in einer Fassung von Barbara Hass aufgeführt.

Vom Buch auf die Bühne: Ronja Räubertochter am tjg. – Buchvorlage © Friedrich Oetinger Verlag, Illustrationen: Ilon Wikland

Ronja wird in einer gewitterigen Nacht geboren – hinein in die Mattissippe, die in der Mattisburg auf dem Mattisberg haust. Eine schicksalhafte Nacht, in der Räuberhauptmann Mattis nicht nur eine Tochter geschenkt bekommt, sondern auch einen Teil seiner Burg verliert, indem ein Blitz sie in zwei Hälften spaltet, zwischendrin ein gewaltiger Abgrund. So beginnt die Geschichte um die Räubertochter – im Buch wie auf der Bühne. Den Abgrund hat Astrid Lindgren als Sinnbild gewählt – für all das, was zwischen den Menschen steht, scheinbar unüberwindbar: Streit, Krieg und Feindschaft – um nur einiges zu nennen. Die Menschen – das sind in Lindgrens Räuberroman auf der einen Seite die Mattisräuber und auf er anderen Seite deren Erzfeinde, die Borkaräuber, die sich irgendwann im abgespaltenen Teil der Burg einnisten. Ein handfester Konflikt scheint unausweichlich, außer man überwindet den Abgrund und redet miteinander. Und genau das ist das Thema von Lindgrens Werk und am tjg auf der Bühne sogar noch viel verstärkter. Denn das Motto der laufenden Spielzeit heißt in der Tat “Wollen wir mal reden!?”.

Natürlich haben auch wir dieses Angebot angenommen und haben geredet – mit dem Dramaturgen Christoph Macha, der uns viele spannende Details aus dem Adaptionsprozess vom Buch auf die Bühne verraten hat.

Innenseite aus: Ronja Räubertochter © Friedrich Oetinger Verlag, Illustrationen: Ilon Wikland

Innenseite aus: Ronja Räubertochter © Friedrich Oetinger Verlag, Illustrationen: Ilon Wikland

Aufbruch der Tochter in den Wald: Ronja (Marie Thérèse Albrecht) mit Mattis (Lukas Stöger) und Lovis (Susan Weilandt) im Hintergrund – Szene aus: Ronja Räubertochter © tjg. Dresden, Foto: Marco Prill

Aufbruch der Tochter in den Wald aus: Ronja Räubertochter © Friedrich Oetinger Verlag, Illustrationen: Ilon Wikland

Warum reden die Menschen so wenig miteinander? Diese Frage, die sich in großem Maße auch speziell auf die Stimmung in der Stadt bezieht, steht über dem gesamten Spielzeitmotto am tjg. in Dresden, erfahren wir von Herrn Macha. Der Versuch der Beantwortung führe schließlich zu weiteren Fragen – vor allem zu Fragen, die sich auf die Kinder und Jugendlichen beziehen. Die würden noch viel mehr und viel offener miteinander reden. Wann höre diese Form der Kommunikation auf und warum? Wann komme es zu einer Entfremdung? All das haben sich die Theatermacher in Dresden im Vorfeld der Spielzeit gefragt. Der Weg zu Ronja Räubertochter sei dann relativ schnell klar und logisch gewesen, denn hier sein es schließlich die Kinder, die es schaffen miteinander ins Gespräch zu kommen – vor allem auch deshalb, weil sie die Fehde nicht hinnehmen wollen, die ihnen die Erwachsenen vorleben, nur weil es sie schon immer so gegeben hat.

Ronja macht Bekanntschaft mit Birk, dem Sohn von Borka – am Schicksalsort der Handlung, dem Abgrund. Eine Schlüsselszene, auf die wir bei der Inszenierung besonders gespannt waren. Wie würde es gelingen die gespaltene Burg, den Abgrund und das gefährliche Hin und Her der Kinder über eben diesen zu zeigen? Doch wie schon so oft, gelingt es dem tjg. mit Hilfe eines einfachen und stark abstrahierten Bühnenbildes den Blick auf das Wesentliche fallen zu lassen, ohne dabei allerdings auf Effekte zu verzichten.

Die Mattisburg auf der Bühne besteht aus einer Ansammlung enorm großer Wassertanks, die je nach Schauplatz verschieden angeordnet werden. Bei der Begegnung der Räuberkinder meint der Zuschauer tatsächlich die Burg vor sich zu sehen und das Wettspringen der beiden über den Abgrund wird dank Nebel-, Licht- und Soundeinsatz zum großen Erlebnis.

Das Hin und Her über den Abgrund aus: Ronja Räubertochter © Friedrich Oetinger Verlag, Illustrationen: Ilon Wikland

Begegnung am Abgrund: Ronja (Marie Thérèse Albrecht) und Birk (Florian Thongsap) – Szene aus: Ronja Räubertochter © tjg. Dresden, Foto: Marco Prill

Generell wirkt das ganze Stück unheimlich frisch und man spürt, wie wichtig dem Theaterteam der Bezug zur Realität ist. Das ist vor allem vor dem Hintergrund bemerkenswert, da es auf der einzigen verfügbaren Theaterfassung von Ronja Räubertochter aus dem Jahre 1987 aufbaut, die noch von Lindgren selbst autorisiert wurde. Die sei allerdings von der Sprache wie auch von der Erzähltradition mehr als in die Jahre gekommen, was eine Umsetzung nahe an der Lebenswirklichkeit der Kinder heute enorm erschweren würde, verrät uns Herr Macha. Ein wenig mehr Freiraum vor allem für die Gestaltung der Handlung wäre wünschenswert gewesen – allerdings seien eben auch das gerade die Herausforderungen, die das Inszenieren so spannend machen würden.

Durch drei originär am tjg. entwickelte Liedtexte, die sinnbildlich für die Jahreszeiten stehen, die Ronja durchlebt, ist es allerdings trotzdem gelungen eigene bzw. neue Bezüge in die Geschichte zu transportieren und zugleich den Erwartungshaltungen des Publikums in Sachen Weihnachtsstück gerecht zu werden.

Besonders beeindruckend, wenn auch im Grunde so einfach gehalten, ist zudem die Lichtgestaltung. Je nach Schauplatz, Jahreszeit oder Stimmung werden die Wassertanks unterschiedlich beleuchtet. Verschiedene Grüntöne beispielsweise verwandeln die Mattisburg mal so eben in den Wald und ein Scheinwerfer scheint die gesamte Vorstellung stets auf Ronjas grünen Schutzstein gerichtet zu sein. Damit dieser funkelt und für den gewissen Theaterzauber sorgt.

Gemeinsames Leben im Wald: Birk (Florian Thongsap) und Ronja (Marie Thérèse Albrecht) – Szene aus: Ronja Räubertochter © tjg. Dresden, Foto: Marco Prill

Wichtig zu erwähnen war für Christoph Macha außerdem die Vorgehensweise am Theater, dass man versucht den Stoff erst einmal so anzuschauen, als würde man ihn noch nicht kennen. So könne das Grundlegende einer Geschichte mit den wichtigsten Motiven erst so richtig erkennbar werden und das sei bei Ronja Räubertochter eben nicht nur Gutes und Schönes. Die Wilddruden, Rumpelwichte, Graugnome und die Unterirdischen sind bedrohliche Wesen, die auch so gezeigt werden. Und auch die Räuberei ist eine Angelegenheit, die im Grunde nicht positiv dargestellt werden sollte. Durch den erfolgreichen und aus unserer Sicht auch wirklich großartigen Film aus dem Jahre 1984, für den Astrid Lindgren im Übrigen selbst das Drehbuch verfasst hat, hat Ronjas Abenteuer aber auch einen ganz eigenen Charakter bekommen, der für viele untrennbar zum Buch ist. Die Rumpelwichte beispielsweise sind dort süße kleine Wichte mit einer bezaubernden Ausdrucksweise, was so zugespitzt im Buch überhaupt nicht angelegt ist. Sich davon ein Stück weit zu trennen, war dem Team am tjg. sehr wichtig.

Die Rumpelwichte aus: Ronja Räubertochter © Friedrich Oetinger Verlag, Illustrationen: Ilon Wikland

Gemeinsames Leben im Herbstwald aus: Ronja Räubertochter © Friedrich Oetinger Verlag, Illustrationen: Ilon Wikland

Gemeinsames Leben im Herbstwald: Ronja (Marie Thérèse Albrecht) und Birk (Florian Thongsap) – Szene aus: Ronja Räubertochter © tjg. Dresden, Foto: Marco Prill

Zu sehen bekommen die jungen Theatergänger alles in allem eine starke Klassikerinszenierung mit starken Charakteren, vielen Überraschungsmomenten und jeder Menge Spaß. Es ist eine Kunst, aus wenig viel zu machen. Dem tjg. gelingt das auf beeindruckende Art und Weise immer wieder neu und nirgendwo sonst als im Theater kann eine ganze Räuberbande nur aus einem einzelnen zusätzlichen Mann bestehen, ohne dass es jemand stört. Und nirgendwo sonst als im Theater kann eine Geschichte auf Grundlage einer schon sehr alten Fassung so erfrischend neu sein. Wir sind uns sicher, hätte Astrid Lindgren mit im Publikum gesessen, sie hätte sich sicher noch einmal überlegt, ob man nicht hier und da noch ein paar Änderungen in der Theaterfassung im Sinne der Aktualität vornehmen könnte. Vielleicht hätte sie sogar gesagt: “Wollen wir mal reden!?”

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