Wenn Kinder reisen, dann tun sie das meistens für den Moment und zurück bleibt vor allem ein Gefühl. Ein Gefühl, mit dem dieser Ort für sie für immer verbunden sein wird. Bei manchen Reisezielen kann daraus sogar ein wahrer Erinnerungsschatz werden und es lohnt besonders ein wenig Reiseliteratur anzuschaffen, um genau diesen Schatz auch zuhause immer wieder lebendig werden zu lassen. Venedig gehört in jedem Falle zu einer solchen Auswahl an besonderen Reisezielen für die Kindheit, was auch der Grund für diesen Artikel ist. Wir haben die Lagunenstadt am Mittelmeer besucht und zwei ganz wunderbare Bücher mitgenommen. Begleitet uns auf dieser Reise und lasst euch verzaubern!
Eine Stadt im Meer, wo es weder Autos, noch Straßenbahnen gibt und alles über den Schiffsverkehr geregelt wird, ist an sich schon unheimlich spannend – ranken sich um diese Stadt dann auch noch verschiedene Mythen und Legenden, dann ist sie wie dafür gemacht, um sie gemeinsam mit den kleinen LeseEntdeckern zu erkunden.
Wir sind von Mestre aus mit dem Zug gestartet, was schon einmal für viel Spannung gesorgt hat, da wir uns der Lagune so Stück für Stück genähert haben und mit platt gedrückten Nasen an der Zugscheibe den “Wer-sieht-Venedig-als-erster-Wettbewerb veranstaltet haben. Beim Heraustreten aus dem Bahnhof Venezia Santa Lucia haben die Augen dann aber trotzdem noch einmal mehr geleuchtet – vor uns der Canal Grande mit unzähligen Gondeln, Booten und Wasserbussen. Und natürlich war die Fahrt in einem solchen Wasserbus, einem sogenannten Vaporetto, auch ein Highlight für die kleinen Venedigtouristen. Aber längst nicht das Einzige.
Venedig ist eine wunderschöne und magische Stadt, die für Kinder so viel zu bieten hat, ohne dass man dafür bestimmte Stellen aufsuchen müsste. Wir haben uns treiben lassen und nur ein paar Schauplätze aus unseren literarischen Begleitern im Kopf gehabt, die wir unbedingt finden wollten. Zwischendurch konnten wir jede Menge Gondeln bestaunen und sogar Probesitzen. Wir haben viele Brücken bezwungen, beim Herstellen von Masken zugeschaut und uns natürlich durch die vielen Eissorten probiert. Und auch die vielen hübschen Brunnen laden gerade im Sommer wunderbar zum Erfrischen ein. Dabei haben wir uns immer wieder verlaufen und fanden uns auf einmal in so manch verlassener Gasse wieder, in der wir über die vielen bunt behangenen Wäscheleinen lachen mussten. In Venedig ist zwar alles alt und geheimnisvoll, aber irgendwie eben dennoch neu und überraschend.
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Genossen: den Blick auf die Isola di San Giorgio Maggiore | Gefunden: einen magischen Brunnen | Gelernt: wie eine echte venezianische Maske entsteht | Geschleckt: jede Menge beste italienische Eiscreme
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Gewandert: über so manch einsamen Kanal | Gestaunt: wieviel verschiedene Tiermasken es in den Auslagen gibt | Gelacht: über die bunten Wäscheleinen über unseren Köpfen | Gezählt: die Pakete, die auf ein Lieferschiff passen
Auch die schwedische Autorin Christina Björk hat den besonderen Reiz, der für Kinder von Venedig ausgeht, erkannt und sogar ein Buch darüber geschrieben. Ein Buch in erster Linie natürlich für die kleinen VenedigEntdecker, aber eben auch für ihre erwachsenen Begleiter. Denen zeigt die kleine Protagonistin nämlich sehr schön, mit welchen Augen ein Kind durch diese berühmte Wasserstadt geht und schlendert oder eben auch manchmal springt und rennt.
Lavendel in Venedig von Christina Björk, übersetzt von Angelika Kutsch und illustriert von Inga-Karin Eriksson, erschienen bei cbj.
Vorangestellt ist der Geschichte um die kleine Lavendel aus Stockholm, die mit ihrem Vater nach Venedig reist, ein Vorwort, das wie folgt beginnt:
Alle Kinder sollten nach Venedig fahren dürfen,
denn Venedig ist ein bisschen wie eine Märchenstadt.
Und genau nach dieser Maxime ist auch jede Seite dieses Bilderbuches gestaltet. Alle Kinder sollen in die Märchenstadt am Mittelmeer reisen können – ob sie es nun in Wirklichkeit tun und das Buch ihnen als wunderbarer Reiseführer dient oder ob sie von zuhause aus mit dem Finger auf der Karte Lavendels Wege verfolgen, das spielt dabei keine Rolle.
Mit dem Blick aus der Ferne beginnt auch erst einmal Lavendels Reise, die eigentlich Vendula heißt, sich aber viel lieber nach der gut riechenden Heilpflanze nennt, die ja im Grunde auch aus den gleichen Buchstaben besteht. Von zuhause aus erzählt sie uns nämlich von ein paar sehr interessanten Berührungspunkten ihrer Heimatstadt Stockholm mit Venedig. Das ist deshalb auch so besonders, weil sich daran entlang sehr schön Lavendels Erwartungen und die große Begeisterung für die Lagunenstadt erkennen lassen. Ganz nach dem Motto – Venedig ist auch schon aus der Ferne betrachtet ein wirklich spannendes Unterfangen.
Als Lavendels Reise dann schließlich wirklich beginnt, begegnen die kleinen LeseEntdecker der magischen Stadt am Mittelmeer zum ersten Mal bei Nacht, was einen ganz grandiosen Auftakt darstellt. Mit unheimlich viel Fingerspitzengefühl lässt die Autorin Lavendel selbst von ihrer Ankunft und all den neuen Eindrücken berichten. Und auch im weiteren Verlauf der Geschichte tut sie das mit so viel Begeisterung und Überschwang, dass man förmlich nicht anders kann, als es ihr gleich zu tun.
Es war ein Gefühl,
als ob wir mitten in einem Märchen ankamen.
Oder wie im Theater vielleicht.
Aber alles war merkwürdigerweise wahr.
So beispielsweise auch als es um das Wahrzeichen der Stadt geht – den geflügelten Markuslöwen. Lavendels Idee zu einer kleinen Löwen-Foto-Ralley kommt fast einer Schatzsuche gleich und eignet sich daher wunderbar für einen Venedigbesuch mit Kindern.
In Venedig kann man total löwenverrückt werden.
[…] Ich verknipste einen ganzen Film
und wir mussten dauernd stehen bleiben.
Am schlimmsten war es, wenn ich Löwen
durch Eingänge auf privaten Grundstücken entdeckte.
Dann musste ich hineinschleichen
und auch dort ein Foto machen,
obwohl ich mich eigentlich nicht traute.
Natürlich haben wir diesen Teil der Geschichte auch in die Tat umgesetzt – wie könnten wir auch anders. Es hat unheimlich viel Spaß gemacht, denn wirklich an jeder Ecke findet sich ein Löwe. Mal ganz prächtig in Gold, aus Marmor oder eher schlicht im Putz einer Hauswand eingelassen – mal als unheimlicher Türklopfer, hoch oben auf einer Fahne nur zu erahnen oder aber an den Kapitellen der Säulen des Dogenpalastes.
Ein ganz wunderbarer Kniff der beiden schwedischen Damen, der es uns an dieser Stelle so einfach macht, aufzuzeigen, wie man eine Geschichte erlebbar machen kann.
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Und damit nicht genug, denn mindestens genauso viel Spaß macht es natürlich, einfach mit dem Buch unterm Arm die verschiedenen Schauplätze aus der Geschichte aufzusuchen. Die Illustrationen von Inga-Karin Eriksson laden förmlich dazu ein. Sie sind eine wunderbare Mischung aus Detailreichtum auf der einen sowie Abbild von Lavendels fantasievollem Blick auf der anderen Seite. Natürlich spielt dabei der Markuslöwe oft noch eine Rolle, aber auch die Suche nach den vier goldenen Pferden, die es der kleinen Lavendel so besonders angetan haben oder so manch interessante Begegnung mit ganz verschiedenen Bewohnern der Lagunenstadt werden von der Illustratorin hervorragend in Szene gesetzt.
Lavendel in Venedig ist ein sehr außergewöhnlicher Reisebericht, bei dem es bei jedem erneuten Anschauen oder Lesen immer wieder Neues zu entdecken gibt – je nachdem von welcher Warte aus man die Geschichte gerade betrachtet. Eine zauberhafte Vater-Tochter-Reise mit jeder Menge Faktenwissen über Stadt, Land und Geschichte sowie großartig atmosphärischen Bildern einer fast unwirklichen und unbeschreiblich inspirierenden Stadt.
Damit der Abschied von der Märchenstadt am Mittelmeer nicht ganz so schwer fällt, lassen Björk und Eriksson ihre kleine Lavendel im Verlauf der Geschichte zum Glück noch fleißig Andenken sammeln – ein bisschen Kitsch aus den Souvenirläden, aber auch ganz individuelle kleine Erinnerungsstücke können da entdeckt werden. Und ja – ein Mitbringsel von einer Reise ist auch in unseren Augen etwas, das man nicht vergessen sollte. Ein Gegenstand, der zuhause dafür sorgt, dass man wieder gemeinsam durch die unzähligen Gassen der Kanalstadt schlendert und wild durcheinander ganz viele “Weißt du noch, als wir…?” Fragen stellt. Und auch was das betrifft, haben wir uns ein klein wenig von Lavendel inspirieren lassen.
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Das zweite Buch, das uns nach Venedig begleitet hat und eigentlich auch ein Grund für unseren Besuch in der Lagunenstadt war, ist Cornelia Funkes Meisterwerk um zwei Brüder und eine junge Diebesbande vor den Kulissen Venedigs.
Herr der Diebe von Cornelia Funke mit Illustrationen der Autorin, als Taschenbuch erschienen im Friedrich Oetinger Verlag.
Die Autorin erzählt darin eine Geschichte über Freundschaft, Bruderliebe und über das Erwachsenwerden. Angesiedelt in der Stadt, die wie keine andere für das Vergängliche steht. Ein verzauberter Ort, der aber gleichzeitig auch wirklich existiert und besucht werden kann, so eine Erklärung der Autorin auf ihrer Homepage.
Dorthin schickt sie ihre zwei Hauptprotagonisten – die Brüder Bo und Prosper, als sie auf der Flucht vor ihrer Tante Esther sind. Die will beide auseinander reißen und nur Bo, den jüngeren Sohn ihrer Schwester, adoptieren. Prosper soll auf ein Internat abgeschoben werden. Im Gepäck haben sie jede Menge Hoffnungen und zudem viele fantastische Vorstellungen von der Stadt, die ihre verstorbene Mutter so sehr liebte.
Wenn er durch die Stadt lief,
strich er oft mit den Fingern
an den Hausmauern entlang.
Die Steine in Venedig fühlten sich anders an,
alles war anders. […]
Hier war jetzt sein Zuhause.
Wie ein großes, sanftes Tier
hatte die Stadt des Mondes
Bo und ihn empfangen,
hatte sie versteckt
in ihren verschlungenen Gassen,
sie verzaubert mit ihren
fremdartigen Gerüchen und Geräuschen. […]
Noch bevor es der unliebsamen Tante gelingt den Detektiv Victor auf die Brüder anzusetzen, sind diese bereits Teil einer kleinen Gemeinschaft an Kindern, die füreinander eintreten, weil das eben keine Erwachsenen für sie tun – allen voran Scipio, der Anführer der Bande und Herr der Diebe.
Was folgt ist eine aufregende Verfolgungsjagd – die Gassen Venedigs entlang, über Brücken und Plätze, hinein in Kirchen und Läden bis hin zu einer geheimnisvollen Insel. Gemeinsam mit Scipio, Wespe, Riccio und Mosca tauchen Bo und Prosper dabei tief in ein Abenteuer ein, das die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fantasie verschwimmen lässt.
Viele der Schauplätze im Buch beschreibt die Autorin so eindrucksvoll, dass es für die kleinen LeseEntdecker zu einem wirklichen Bedürfnis werden kann, sie selbst auch einmal zu besuchen. Sie allerdings dann in Venedig auch zu finden, stellt sich ein wenig schwieriger dar, als noch bei unserer Lavendel. Wir haben uns dennoch auf die Suche gemacht und dabei die ein oder andere aufregende Entdeckung gemacht.
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Campo San Marco | Ponte di Rialto | Pizza Margherita am Campo Santa Margherita | Ein geheimnisvolles Kino
Das Sternenversteck auf der Calle del Paradiso haben wir leider nicht gefunden, was natürlich für das Versteck an sich spricht, dann aber doch etwas Enttäuschung aufkommen ließ. Schließlich hat die Autorin mit diesem Ort einen wahren Sehnsuchtsort für Kinder geschaffen – ein leerer Kinosaal mit einem sternenbesticktem Samtvorhang und ein paar wenigen Reihen an Klappstühlen, der den Kindern als Unterschlupf, Treffpunkt und Zuhause dient.
Aber wir haben den Markusplatz und die Rialtobrücke besucht und es sogar zum Campo Santa Margherita geschafft, der im Buch eine wichtige Rolle spielt. Während wir dort umher geschlendert sind und nach einer ganz bestimmten Villa Ausschau gehalten haben, ist uns ein anderes verlassenes Kino aufgefallen und für den Rest des Tages wurden die wildesten Vermutungen angestellt, ob nicht vielleicht dieses Kino das eigentliche Sternenversteck sei und die Schauplatzsuche war gerettet. Wie schön, wenn eine Geschichte so im Hier und Jetzt weiterlebt – das wünschen wir uns im Grunde für noch viel mehr Kinder- und Jugendbücher.
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Eine versteckte Gelateria | Verlassene Anlegestellen | Bunte Wegweiser des Windes | Eine Buchhandlung am Kanal
Darüber hinaus haben wir auf unserem Weg durch diese besondere Stadt natürlich noch viele weitere geheimnisvolle und magische Orte gefunden, die manchmal so aussahen, als wären sie direkt den Seiten von Funkes Roman entsprungen. Ein unvergessliches Erlebnis für Klein und Groß und wir empfehlen daher eine Reise in die Stadt des Mondes und des Löwens in jedem Fall mit voran gegangener Lektüre dieses tollen Buches.
Und allen, die gerade nicht ganz so weit reisen können, aber trotzdem über den Roman hinaus das Venedig von Scipio, Prosper & Co erleben möchten, sei die Theateradaption des Buches am Schauspielshaus in Dresden ans Herz gelegt. Wir hatten bereits letztes Jahr das Vergnügen, das Stück zu sehen und waren sehr begeistert – vor allem vom Bühnenbild und dem Begleitmaterial für die jungen Gäste.