Von der NeuEntdeckung der unendlichen Geschichte

Im Dezember hatte ich das große Vergnügen bei einem Werkstattgespräch des Illustrators und Künstlers Sebastian Meschenmoser in der Zentralbibliothek Dresden dabei sein zu können. Vier Monate zuvor erst war seine illustrierte Ausgabe von Michael Endes Meisterwerk Die unendliche Geschichte erschienen, für die er 50 Ölgemälde und über 100 Zeichnungen anfertigte.

Im Rahmen einer Ausstellung ausgewählter Originale sprach er über die spannende Entstehungsgeschichte des Buches, seine besondere Motivation Bildwelten für eben diesen Klassiker zu erschaffen und dessen Bedeutung für unsere heutige Gesellschaft. Dabei lies er gleich zu Beginn seinen Wunsch durchschimmern, dass diese neue, bebilderte Ausgabe des Romans doch hoffentlich viele Menschen dazu bringe, Endes Roman neu zu entdecken. Denn Die unendliche Geschichte sei ein Buch, das man immer wieder lesen könne und jedes Mal würde man Neues entdecken und Figuren, Orte oder Handlungsstränge aus einer anderen Perspektive betrachten können.

Was mir an diesem Punkt schon eine Überlegung wert war – schließlich lag meine Reise nach Phantásien fast zwanzig Jahre zurück – musste ich nach seinen unbeschreiblich interessanten und tiefgehenden Ausführungen zum Buch schlichtweg auch in die Tat umsetzen. Und so wagte ich, in den Tagen zwischen den Jahren eine erneute Reise in das Buch aller Bücher – an meiner Seite, sozusagen parallel lesend, sogar ein kleiner LeseEntdecker, der diesen Weg zum ersten Mal antrat.

Die unendliche Geschichte von Michael Ende und illustriert von Sebastian Meschenmoser, erschienen im Thienemann Verlag.

Die unendliche Geschichte © Thienemann Verlag, Illustrationen: Sebastian Meschenmoser


Der Anlass für die Künstlerausgabe sei das 40jährige Jubiläum des modernen Kinder- und Jugendbuchklassikers im letzten Jahr gewesen und man müsse dafür sorgen, dass wieder mehr junge LeserInnen dieses Meisterwerk zur Hand nähmen und es nicht in Vergessenheit gerate, so Meschenmoser. 14 Monate lang habe er daher selbst noch einmal die Reise nach Phantásien unternommen, unheimlich viel recherchiert und natürlich ununterbrochen gezeichnet und gemalt – bis schließlich alle 26 Kapitel von A-Z auch auf einer bildnerischen Ebene dazu einluden, sich in der Geschichte zu verlieren. So wie es auch schon der Text mit seinen ganz eigenen und von Ende fast zur Perfektion hin genutzten Möglichkeiten vermag.

Der Schlüssel dazu sei eine sehr intensive Auseinandersetzung mit dem Autor, dem Werk und der fantastischen Literatur im Allgemeinen gewesen, betonte er außerdem. Nur so konnte er seinem Anspruch, Michael Endes Werk so nah wie möglich zu kommen und Die unendliche Geschichte authentisch und im Sinne von Endes Vorstellungen zu bebildern, gerecht werden. Neben dem regen Austausch mit Michael Endes Erben Roman Hocke und einer Italienreise zu Orten, die als Endes Inspirationsquelle gelten, hat Sebastian Meschenmoser den Roman intensivst nach bildnerischen Zitaten durchsucht. Davon gibt es glücklicherweise unbeschreiblich viele, denn Michael Ende war Sohn des surrealistischen Malers Edgar Ende und wuchs quasi mit den verschiedensten künstlerischen Bildwelten auf. Er erzählte unheimlich bildgewaltig und genau, schöpfte aus einer Vielzahl an kulturellen Stilen – sei es aus der Malerei oder der Architektur, verband die unterschiedlichsten Mythen, Legenden oder Symboliken miteinander und fügte alles zu einem Gesamtkunstwerk zusammen – so wie nun auch Sebastian Meschenmoser.

Das meiste davon werden die jungen LeseEntdecker sicher nicht gleich herauslesen oder wahrnehmen. Für sie stehen die Abenteuergeschichte, die vielen sonderbaren Kreaturen und die magischen Begebenheiten im Vordergrund. Sie begleiten die Helden Bastian, Atréju und Fuchur durch die verschiedenen Welten von Phantásien, staunen und bangen mit ihnen oder begeben sich gar selbst hinein in diese Welten, so wie es von Ende im besten Falle angedacht wurde. Aber sie werden bei der Lektüre die besondere Einheit von Bild und Text spüren, die Sebastian Meschenmoser hier geschaffen hat und Die unendliche Geschichte wird ihnen als das Zauberbuch vorkommen, das es ist. Und genau diese Erkenntnis hat mich schließlich dazu angetrieben, mich näher mit dieser besonderen Ausgabe zu beschäftigen und sie Teil der LeseEntdecker hier werden zu lassen. Denn es bedarf von Zeit zu Zeit und von Generation zu Generation bei so wichtigen Büchern wie Der unendlichen Geschichte wohl einer gewissen Erinnerung, welches Erlebnis hinter ihrer Lektüre für die LeserInnen steckt. Sebastian Meschenmosers Bilder wecken genau die richtige Neugier dafür.

Detail aus: Die unendliche Geschichte © Thienemann Verlag, Illustrationen: Sebastian Meschenmoser
Detail aus: Die unendliche Geschichte © Thienemann Verlag, Illustrationen: Sebastian Meschenmoser


Große Besonderheit von Michael Endes Roman ist der magische Zusammenhang zwischen Inhalt und Lektüre des Buches. Dafür rückt der Autor seinen Protagonisten Bastian Balthasar Bux anfänglich in die gleiche Perspektive, wie sie die Lesenden einnehmen und sorgt damit für eine ganz besondere Wirkung seiner Botschaft auf das individuelle Sein eines jeden Einzelnen.

Bastian ist ein Träumer und Einzelgänger, der eine sehr ausgeprägte Fantasie besitzt und eine große Leidenschaft für Bücher hegt. An einem verregneten Schultag verschlägt es ihn in ein altes Antiquariat, das er schließlich mit einem gestohlenen Buch unter seinem Mantel wieder verlässt. Und genau dieses besondere Diebesgut liegt längst schon in den Händen des Lesenden, ist er an dieser Stelle im Buch angekommen. Es trägt den Titel Die unendliche Geschichte.

Innenseite aus: Die unendliche Geschichte © Thienemann Verlag, Illustrationen: Sebastian Meschenmoser


Gemeinsam mit dem kleinen Dieb, verleitet von der eigenen Leidenschaft, begeben wir uns erst auf den Dachboden seiner Schule und von dort aus direkt nach Phantásien – Michael Endes Wunderwelt, die keine Grenzen kennt, außer der zur Wirklichkeit. Eine Welt mit ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten, unglaublichen Geschöpfen und Gegenden, in denen die Abendhimmel wie flüssiges Gold und die Dämmerungen bleigrau aussehen können, es Windriesen, Irrlichter und Tintenmännchen gibt und wo unter dem Zeichen des Auryn alle Wesen gleich gelten – egal ob klein oder groß, gut oder böse.

Doch diese Welt ist gefährdet und droht vom Nichts aufgefressen zu werden. Dem Nichts, das bleibt, wenn alle Geschichten, Legenden und mit ihnen alle Fantasien verloren gehen, weil nicht mehr gelesen wird. Eine Rettung ist möglich, doch dafür müssen zwei Jungen erst den Weg zueinander, wieder voneinander weg und schließlich zu sich selbst finden. Die Rede ist von Atréju und Bastian – doch letzterer ist keineswegs gesetzt und kann im Grunde von jedem kleinen LeseEntdecker, der über genügend Fantasie und Vorstellungskraft verfügt, abgelöst werden. Was für eine großartige Möglichkeit für die jungen Lesenden, die Ende da erschaffen hat.

Einen großen Beitrag zu dieser besonderen Wirkung haben auch die Form und die Gestaltung des Buches, denn Michael Ende wollte, dass die jungen LeserInnen genau das Buch in den Händen halten, das auch im Text beschrieben wird. Dazu gehören der zweifarbige Schriftdruck in rot und grün, der für die Zweiweltigkeit steht, die aufwändig gestalteten Initialen am Anfang eines jeden Kapitels, der Schutzumschlag sowie der Stoffeinband mit Aurynprägung, was alles bewusst auch für die Schmuckausgabe aufgegriffen wurde.

Detail aus: Die unendliche Geschichte © Thienemann Verlag, Illustrationen: Sebastian Meschenmoser
Unveröffentl. Bleistiftzeichnung des Auryn von Sebastian Meschenmoser aus dem Begleitheft zur LesArt-Ausstellung 09-11.2019 (links), Innenseite aus: Die unendliche Geschichte © Thienemann Verlag, Illustrationen: Sebastian Meschenmoser (rechts)


Und so lädt diese neue, illustrierte Ausgabe in besonderem Maße dazu ein, sich fallen zu lassen und dem Fluss der Geschichte zu folgen. Gemeinsam mit Atréju, dem Sohn Aller, auf seinem Pferd Artax über das Gräserne Meer zu galoppieren, mit ihm zusammen die Uralte Morla in den Sümpfen der Traurigkeit zu suchen oder aber den Glücksdrachen Fuchur mit der bronzen Glockenstimme kennenzulernen und von ihm zu lernen, dass man die Hoffnung nie aufgeben sollte. Denn nur so sei es überhaupt möglich die weite Reise durch ein Land ohne festgelegte Geografie zu meistern – auch oder besser gerade dann, wenn die Rettung bereits erreicht scheint und man schon längst an Bastians Seite durch Phantásien reist.

Jedes Kapitel konnte Sebastian Meschenmoser mit 1-2 großformatigen Bildern sowie ein paar wenigen Zeichnungen ausstatten. Nie hatte ich beim Lesen das Gefühl, dass meiner Vorstellungskraft durch sie etwas weg- bzw. vorweggenommen wird. Endes Beschreibungen sind teilweise bereits so präzise und dicht, dass die Bilder vielmehr für ein intensiveres Lesegefühl sorgen.

Und es sind wahrlich Kunstwerke, die man sich einfach nicht oft genug anschauen kann. Am besten zusammen mit der ganzen Familie, denn Die unendliche Geschichte kann nun auch ein Familienbuch sein. Über die Bilder können sich etwas jüngere Kinder erst einmal langsam an die Handlung herantasten. Danach ist das Vorlesen auch eine wunderbare Sache. Ich bin mir sicher, dass dann auch Fragan aufkommen, die wiederum zu tollen Gesprächen und kleinen Bilddeutungsmomenten führen können.

Innenseite aus: Die unendliche Geschichte © Thienemann Verlag, Illustrationen: Sebastian Meschenmoser (links),
Innenseite aus dem Begleitheft zur LesArt-Ausstellung 09-11.2019 (rechts)


Durch das Begleitheft zur Ausstellung im Zusammenhang mit dem Erscheinungstermin im Berliner Zentrum für Kinder- und Jugendliteratur Lesart vom 07. September bis 12. November 2019 bekommt man außerdem einen ganz tollen Einblick in Sebastian Meschenmosers Arbeitsweise. Viele Hintergründe und Nebengeschichten, von denen er auch im Werkstattgespräch erzählte, findet man dort wieder. Sie würden an dieser Stelle hier zu weit führen, sind aber wirklich unbeschreiblich interessant. Auch die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Fantasytiteln, von denen der Illustrator jede Menge aufzählen kann, wären für das junge Publikum sicher von großem Interesse. Bestimmte Elemente und Motive aus der klassischen Fantasyliteratur oder der griechischen Mythologie finden sich überall wieder – sei es in Phantásien, auf Hogwarts oder in Mittelerde.

Um einen reinen Fantasyroman handelt es sich bei Der unendlichen Geschichte aber nicht. Ab einem gewissen Punkt im Buch geht es vor allem um die Verwobenheit der beiden Welten und wie wichtig es ist, dass Bastian den Weg zurück in seine, in die unsere Welt findet. Denn das, was mit ihm in Phantásien passiert ist und ihn verändert hat, muss weitergegeben werden, um unsere krankende Gegenwart wieder gesund zu machen. Um es mit anderen Worten zu sagen, es ist dringend erforderlich zu träumen, der eigenen Fantasie Raum zu geben, sich selbst darin aber immer wieder zu spiegeln und zu hinterfragen. Die Ausgewogenheit der inneren und der äußeren Welt ist von enormer Bedeutung – vor allem für die Kinder in unserem Medienzeitalter. Es scheint sogar als wäre Endes Botschaft heute aktueller, als vor 40 Jahren.

Detail aus: Die unendliche Geschichte © Thienemann Verlag, Illustrationen: Sebastian Meschenmoser
Detail aus: Die unendliche Geschichte © Thienemann Verlag, Illustrationen: Sebastian Meschenmoser


Sicher wäre Michael Ende mit diesem wunderschönen Buch mehr als einverstanden gewesen. Ich glaube sogar, dass er sich von Sebastian Meschenmoser auf besondere Art und Weise verstanden gefühlt hätte, was für einen Autor von großer Bedeutung sein muss. Sein Phantásien so kunstvoll interpretiert vor sich zu sehen, hätte ihn vielleicht sogar mit so manch enttäuschendem Versuch sein Werk zum Leben zu erwecken, ausgesöhnt. Denn während meiner Recherche habe ich mehrmals gelesen, dass Michael Ende keineswegs gegen eine Übertragung seiner Bücher in Bilder war, es ihm vielmehr auf die künstlerische Qualität eben dieser ankam, von der Sebastian Meschenmosers Übersetzung wie auch Herangehensweise in jedem Falle zeugt – ein ganz großartiges Projekt.

Innenseite aus: Die unendliche Geschichte © Thienemann Verlag, Illustrationen: Sebastian Meschenmoser
Innenseite aus: Die unendliche Geschichte © Thienemann Verlag, Illustrationen: Sebastian Meschenmoser
Innenseite aus: Die unendliche Geschichte © Thienemann Verlag, Illustrationen: Sebastian Meschenmoser (links),
Innenseite aus dem Begleitheft zur LesArt-Ausstellung 09-11.2019 (rechts)
Innenseite aus: Die unendliche Geschichte © Thienemann Verlag, Illustrationen: Sebastian Meschenmoser


Wer nun auch auf den Geschmack gekommen ist und diese besondere Ausgabe kennenlernen und sie für die kleinen LeseEntdecker lebendig erhalten möchte, dem empfehle ich sehr die noch angekündigten Ausstellungen zum Buch zu besuchen.

Die Zentralbibliothek Dresden zeigt noch bis zum 13. Februar 2020 eine Auswahl an Originalen im ersten Obergeschoss des Kulturpalastes. Danach sind alle Bilder gesammelt vom 8. März bis 14. Juni 2020 im Bilderbuchmuseum Burg Wissem der Stadt Troisdorf zu sehen. Sicher gibt es dazu dort auch Workshops und Veranstaltungen für Kinder, was im Übrigen ja auch so wunderbar zum Anliegen der Lesentdecker passt. Brücken bauen zwischen den Künsten, um Kinder- und Jugendliteratur zum Erlebnis werden zu lassen. Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden…

Ausstellung Zentralbibliothek Dresden: Sebastian Meschenmoser, Die unendliche Geschichte – Phantásien in Bildern
Ausschnitt Ausstellung Zentralbibliothek Dresden: Sebastian Meschenmoser, Die unendliche Geschichte – Phantásien in Bildern


Hier noch eine kleine Linksammlung – für alle, die sich gern noch etwas ins Thema vertiefen möchten:

Aus der Werkstatt von Sebastian Meschenmoser
Botschafter Phantasiens
Monsterpark Bomarzo
Michael Ende
Sebastian Meschenmoser über Die unendliche Geschichte

Detail aus: Die unendliche Geschichte © Thienemann Verlag, Illustrationen: Sebastian Meschenmoser

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

*