Erich Kästner: Neue Wege zu einem bekannten Autor

Eigentlich wollten wir den 120. Geburtstag von Erich Kästner zum Anlass nehmen, um hier endlich auch einmal eines seiner Kinderbücher direkt vorzustellen. Dann sind wir bei unserer Recherche aber auf so viele spannende – uns noch gänzlich unbekannte – Details über sein Leben, Schaffen und sein Werk gestoßen, dass wir sie an dieser Stelle hier gern teilen möchten. Die Bücher sollen dabei aber natürlich trotzdem nicht zu kurz kommen – zumal der Atrium Verlag im letzten Jahr sämtliche seiner Titel mit einem neuen, weißen Gewand versehen und neu ausgestattet hat.

Denkmal zu Ehren Erich Kästners vor der Villa Augustin in Dresden, das den Schriftsteller als Heranwachsenden zu Besuch bei seinem Onkel Franz Augustin zeigt.

In Dresden gibt es viele Ecken, an denen einem Erich Kästner noch immer begegnet. Mal nicht zu übersehen in Form eines Denkmals an einem Ort seiner Kindheit, ein anderes Mal ganz überraschend auf Schautafeln, während man am Wochenende in Kästners alter Schule, die heute den kassenärztlichen Notfalldienst beherbergt, wartend die Gänge entlang geht. Oder aber man passiert mit der Straßenbahn eher unbewusst sein Geburtshaus auf der Königsbrücker Straße.

In den vergangenen Wochen dürfte die Wahrscheinlichkeit, dem Autor in der Stadt zu begegnen, sogar noch um einiges höher gewesen sein. Da gab es Büchertische in fast jeder Buchhandlung, Sonderveranstaltungen in Kinos und Bibliotheken, sogar ein Flash-Mob zu Ehren Kästners und ein ganzes Museumsfestival, das auch in den kommenden Wochen noch weiter fortgesetzt werden soll, wurden organisiert. Die Stadt Dresden ehrt den Schriftsteller, der einst auch sie so sehr geehrt hat und ihr sogar ein ganzes Buch gewidmet hat. Ein Buch über seine Kindheit – seine Kindheit in Dresden.

Als ich ein kleiner Junge war von Erich Kästner und illustriert von Horst Lemke, 1957 erstmals erschienen im Atrium Verlag, Neuauflage 2018 mit einer Coverillustration von Isabel Kreitz.

Erich Kästner Denkmal am Albertplatz in Dresden mit seinem autobiografischen Kinderroman Als ich ein kleiner Junge war in der Neuauflage von 2018 – © Atrium Verlag, Illustration Isabel Kreitz

Darin erzählt Erich Kästner aus seinen Kindertagen in Dresden und gibt damit nicht nur der Stadt eine Bühne, sondern auch dem Lebensabschnitt Kindheit als solchem. In Kästners Augen ist die Zeit, in der wir Kinder sind, die wertvollste Zeit im Leben, woran er im Buch auch keinen Zweifel lässt.

Alt ist, was man vergessen hat.
Und das Unvergessliche war gestern.
Der Maßstab ist nicht die Uhr, sondern der Wert.

 

Und das Wertvollste,
ob lustig oder traurig, ist die Kindheit.

Vergesst das Unvergessliche nicht!
Diesen Rat kann man, glaub ich,
nicht früh genug geben.

(Erich Kästner: Als ich ein kleiner Junge war, Atrium Verlag, S. 16)

 

Die Zeit, die Stadt und auch die Umgebung, die Kästner in seinem Roman beschreibt, mag für die jungen Leser von heute wahrscheinlich nicht mehr recht greifbar sein, vor allem wenn sie eben nicht aus Dresden kommen. Aber seine Sprache, sein Witz und seine typische Form als Autor während des Lesens anwesend zu sein, haben durchaus einen besonderen Reiz, warum wir auch glauben, dass dieses Buch auch heute noch seine Berechtigung im Bücherregal der kleinen LeseEntdecker hat.

Bei unserer Recherche im Erich Kästner Museum in Dresden sind wir im Zusammenhang mit eben diesem autobiografischen Kinderbuch von Kästner auf eine äußerst interessante Verbindung zu Astrid Lindgren gestoßen. Als Lektorin des schwedischen Verlages Rabén & Sjögren stand sie mit Kästner in Briefkontakt und erkundigte sich beispielsweise mehrmals nach dem Fortschritt beim Schreiben, da man im Verlag damals wohl großes Interesse an Kästners neuem Buch hatte. In Dieses Na ja!, wenn man das nicht hätte!: Ausgewählte Briefe von 1909 bis 1972 (Atrium Verlag) kann man diese Korrespondenz nachlesen. In unseren Augen ein beinah freundschaftlicher Austausch, über den wir zu gern noch mehr nachforschen würden.

Und vielleicht sollten wir das demnächst auch einfach noch einmal tun, denn das mobile interaktive micromuseum® in Dresden bietet sich dafür in jedem Fall wunderbar an. Es ermöglicht dem Besucher einen ganz individuellen Einblick in Kästners Leben und erlaubt es den Autor immer wieder neu und anders kennenzulernen. Aufgrund der begrenzten räumlichen Möglichkeiten in der Villa Augustin, die einst Kästners Onkel Franz Augustin gehörte, hat der Architekt Ruairí O´Brien die Idee des Museums auf das Wesentlichste heruntergebrochen und einen Ort geschaffen, an dem man Kästners Leben in zahlreichen Schubladen, Vitrinen und Mediensätzen entdecken kann. Dass man dabei unweigerlich auf unbekannte und spannende Details stößt, ist naheliegend.

Eingang zum Erich Kästner Museum in der Villa Augustin

Wintergarten mit Besuchern © Erich Kästner Museum Dresden

Schublade mit Exponat © Erich Kästner Museum Dresden

Vitrine mit Kästners Mantel und Hut © Erich Kästner Museum Dresden

Und so sind uns beim Stöbern in den Schubladen beispielsweise auch alte Ankündigungen und Eintrittskarten von Kästnerstücken am tjg. theater junge generation Dresden zwischen die Hände gekommen. Emil und die Detektive beispielsweise konnten die Dresdner Kinder dort 1956 auf der Bühne erleben – Pünktchen und Anton erst nach Kästners Tod in den 90er Jahren. Auch Briefe von Kindern an den Autor kann man im Museum bewundern und passend dazu Kästners Einschätzung darüber, dass es keine dankbarere Leserschaft als die Kinder gebe.

Auf ein weiteres interessantes Detail aus Kästner Leben sind wir über sein 1949 erschienenes Kinderbuch Die Konferenz der Tiere gestoßen. Gleich auf der Titelseite findet man da, noch vor dem Illustrator, den Namen einer Frau – Jella Lepman. Sie gilt als Ideengeberin für dieses Buch, das in vielerlei Hinsicht anders ist, als Kästners bisherige Kinderbücher. Hier bezieht er direkt politisch Stellung und entwirft eine Geschichte, die trotz konkretem Zeitbezug bis heute nichts an trauriger Aktualität verloren hat. Eine Geschichte, in der es sich die Tiere überall auf der Erde zum Ziel gesetzt haben, für Frieden auf diesem Planeten zu sorgen – der Kinder wegen.

Die Konferenz der Tiere von Erich Kästner, nach einer Idee von Jella Lepman und illustriert von Walter Trier, erschienen in einer Neuauflage im Atrium Verlag (Erstveröffentlichung 1949).

Die Konferenz der Tiere © Atrium Verlag, Illustration: Walter Trier

Jella Lepman war allerdings nicht nur die Frau, die Erich Kästner den einen richtigen Impuls zu einem seiner Kinderromane gab, sie war auch die Gründerin der Internationalen Jugendbibliothek, über die sich beide zuvor auch kennenlernten. Eine großartige Institution bis heute, mit der Erich Kästner bis zu seinem Lebensende eng verbunden war. Und verbunden war er auch mit Jella Lepman – in Sachen Friedenserziehung und Literatur für Kinder und Jugendliche blickten beide einfach in ein und dieselbe Richtung. Kästner unterstütze Lepman bei ihrer Bibliotheksarbeit und leitete zeitweise sogar eine Jugendtheatergruppe für sie. Zu seinem 70. Geburtstag wurde er schließlich zum Ehrenmitglied der Internationalen Jugendbibliothek ernannt.

Über diese Verbindung Kästners zur Internationalen Jugendbibliothek sind wir schließlich auch auf Jella Lepmans Werk Die Kinderbuchbrücke gestoßen, in dem sie ihren Weg und ihre Mission zu einer internationalen Verständigung durch das Kinder- und Jugendbuch beschreibt. Eine sehr beeindruckende Geschichte einer beeindruckenden Frau, auf die wir aber an anderer Stelle genauer eingehen möchten.

Jella Lepmans autobiografischer Roman zur Gründung der Internationalen Jugendbibliothek

Das Werk Erich Kästners erscheint uns vor all diesen Hintergründen noch einmal facettenreicher. Seinen Emil und auch seinen Anton, die Schwestern Luise und Lotte und auch den Löwen Alois, den Elefanten Oskar sowie das Giraffenmännchen Leopold können wir nun noch einmal aus ganz neuen Blickwinkeln betrachten. Und dadurch nähern wir uns womöglich auch mehr und mehr dem Erich Kästner, der er sein wollte. Ein leidenschaftlicher Fürsprecher der Kinder, Pazifist und Medienmann. In jedem Fall ein Autor, über den es noch sehr viel zu entdecken gibt.

Ein kleine Auswahl an Entdeckertipps aus diesem Grund zum Schluss – für kleine wie auch große LeseEntdecker:

Kästner und der kleine Dienstag – ein hervorragender Film über Kästners Zeit in Berlin und seine besondere Beziehung zu Hans Albrecht Löhr, der in der Erstverfilmung von Emil und die Detektive den kleinen Dienstag spielte.

Die Kinderbuchbrücke von Jella Lepman – die autobiografische Erzählung der Gründerin über die Entstehung der Internationalen Jugendbibliothek.

Parole Kästner von Jan-Christoph Gockel – eine sehr sehenswerte Inszenierung am Schauspielhaus in Dresden, die unter Verwendung von Originaltexten und Tondokumenten versucht, sich auf die Spuren des berühmten Schriftstellers zu begeben und das auch mit Bravour meistert.

Die Zeit ist kaputt von Klaus Kordon – die Lebensgeschichte des Erich Kästner geschrieben für junge Leser, sehr gut recherchiert und mit vielen Textauszügen und Zitaten.

Kästner Comics illustriert von Isabel Kreitz – für alle kleinen LeseEntdecker, die ein paar mehr Bilder brauchen, um Kästners Klassiker zu entdecken. Bereits im Atrium Verlag erschienen: Emil und die Detektive, Pünktchen und Anton, Das doppelte Lottchen und der 35. Mai.

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