Mit Büchern bunte Brücken bauen (Teil II)

Nach dem Gedichtband im ersten Teil unserer Reihe “Mit Büchern bunte Brücken bauen” soll nun diese besondere Anthologie folgen. Ebenso ein Buch für die ganze Familie – erschaffen von 32 AutorInnen und KünstlerInnen, vereint es ganz unterschiedliche Geschichten, Gedichte und Bilder zum Thema Demokratie. Es berührt und überrascht gleichermaßen und wirft viele wichtige Fragen für unsere heutige Gesellschaft auf. Ein sehr wertvolles Buchprojekt, das dringend notwendige Veränderungen nicht nur aufzeigt, sondern auch möglich macht.

Wer tanzt schon gern allein? Bilder, Geschichten und Gedichte zur Demokratie, herausgegeben von Karin Gruß und erschienen im Peter Hammer Verlag.

Wer tanzt schon gern allein? ©Peter Hammer Verlag, Coverillustration: Britta Teckentrup


Die Palette an Beiträge reicht dabei von Alltagserzählungen aus der Gegenwart wie auch Vergangenheit, über Comics, lyrische Texte und eine Parabel bis hin zu Gedankenschnipseln oder Erinnerungsberichten. Die Sprache und die Tonart sind mindestens genauso vielfältig und spiegeln sehr schön, dass es sich hier eben um ein Gemeinschaftsprojekt handelt, bei dem jede und jeder seine ganz eigenen Erfahrungen mitbringt. Besonders deutlich zeigt sich das auch in der unterschiedlichen Bildsprache der IllustratorInnen. Mal bunt und ausdrucksstark und ein andermal eher zurückgenommen und leise – genau wie man es von einem Buch, in dem es um Demokratie und das Miteinander in einer Gesellschaft geht, erwartet.

Hervorzuheben ist auch die Direktheit und Ehrlichkeit gegenüber den jungen LeserInnen, auf die bei keinem Text verzichtet wird. Keine Erzählung scheint unvollständig oder abgeschwächt erzählt zu sein – im Gegenteil: Kindern eine Stimme geben, indem man ihnen auf Augenhöhe begegnet und ihnen zutraut, die Tatsachen richtig einzuordnen, das scheint der rote Faden, der sich durch alle Erzählungen, Bilder und Gedichte schlängelt. Und da es in erster Linie eben auch ein Familienbuch sein soll, können Dinge beim Vorlesen auch von den Großen erklärt und begleitet werden.

Innenseite aus: Wer tanzt schon gern allein? ©Peter Hammer Verlag
Detail aus: Wer tanzt schon gern allein? ©Peter Hammer Verlag, Illustration: Mehrdad Zaeri


Die titelgebende Frage Wer tanzt schon gern allein? wird im Buch immer wieder aufgegriffen – selten direkt, vielmehr natürlich um die Ecke gedacht, aber das Gemeinsame, wofür das Tanzen ja in besonderem Maße steht, das wird immer ganz klar ersichtlich. Einige Texte lassen uns schmunzelnd oder staunend zu dieser wichtigsten Erkenntnis der Demokratie kommen, einige erschüttern aber auch zutiefst und rütteln wach. Unsere demokratische Gesellschaft ist keine Selbstverständlichkeit, sondern vielmehr eine Errungenschaft, die unter allen Umständen geschützt werden sollte.

Besonders eindrücklich führt das den jungen LeserInnen beispielsweise Mehrnousch Zaeri-Esfahani mit ihrer bewegenden Erzählung Mage mishe vor Augen. Darin erinnert sie sich auf wunderbar humorvolle Art und Weise an ihre erste Begegnung mit der deutschen Stadt, die nach einer langen Flucht aus dem Iran in den 80er Jahren ihre neue Heimat wurde. Heidelberg – eine Stadt im Wunderland. Denn in diesem Wunderland, entdeckte sie damals gemeinsam mit ihren Geschwistern ein Leben, das für sie vorher nicht denkbar gewesen wäre.

[…] Die Rechte waren einfach so da,
wie die Luft zum Atmen.
“Mage mishe?”, fragten wir uns wieder.
Das musste das Paradies sein!
Und wir durften in diesem Stückchen Himmel
für kurze Zeit dabei sein. Als Gäste!
Dass sie uns behalten würden,
entschieden sie erst zehn Jahre später. […]



Durch die Bezüge zu ihrem Leben im Iran wird auch Kindern, die das Leben in einer Demokratie als selbstverständlich ansehen, eine Möglichkeit des Hinterfragens gegeben. Die Bedeutung der Demokratie und wie es sein mag, als Fremde in dieses Land zu kommen, das kann man nach dieser kleinen Erzählung sehr schön verinnerlichen. Grandios ist natürlich auch die dazugehörige Illustration von Mehrdad Zaeri, dem Bruder der Autorin, den sie in ihren Zeilen direkt anspricht und bittet doch ein schönes Bild dazu zu zeichnen. Was er dann natürlich auch gemacht hat.

Ich kenne diese Geschichte auch aus der Erzählstunde der Geschwister und freue mich sehr, dass ich sie nun auch in gedruckter Form zum immer wieder Nachlesen bei mir habe.

Innenseite aus: Wer tanzt schon gern allein? ©Peter Hammer Verlag, Illustration: Mehrdad Zaeri


Ähnlich vielfältig wie die Geschichten und Bilder selbst, sind natürlich auch die Themen im Buch. Neben Flucht und Integration wird auch vom Anderssein im unterschiedlichsten Kontext erzählt, von Armut in der Kindheit – aber auch im Alter. Von Liebe und wieviel verschiedene Gesichter sie hat, von den Problemen der Natur, die dringend ein gesellschaftliches Umdenken erfordern und nicht zuletzt auch von Ausgrenzung und Mobbing.

Letzteres betrifft die jungen LeserInnen des Buches sicher irgendwie alle – sei es aus der Beobachtung heraus oder aber weil sie direkt betroffen sind. Und gerade weil dem so ist, freut es mich sehr, dass im Buch gleich mehrere Seiten diesem sensiblen Thema gewidmet sind. Denn es ist enorm wichtig, dass man junge Menschen sensibilisiert, was Mobbing für die Betroffenen bedeutet. Toleranz, Rücksicht und Empathie sind dafür enorm wichtig. Dass Literatur all das fördert und besser möglich macht, davon bin ich überzeugt.

Britta Teckentrups Mia zeigt zum Beispiel unheimlich direkt und aus Sicht eines Kindes, wie aus einer sehr positiven Eigenschaft eines Mädchens ein Ausgrenzungsgrund werden kann und was das mit dem Mädchen macht. Es zieht sich zurück und verbringt nur noch Zeit dort, wo es in Ruhe es selbst sein kann.

Ein wunderbarer Text und eine sehr berührende Illustration, die hoffentlich zusammen viele Gespräche entstehen lassen werden. Miteinander reden – eines der wichtigsten Merkmale unserer demokratischen Gesellschaft.

Innenseite aus: Wer tanzt schon gern allein? ©Peter Hammer Verlag, Illustration: Britta Teckentrup


Natürlich stehen die vorgestellen Texte und KünstlerInnen hier nur exemplarisch für viele weitere wunderbare Beiträge in dieser Anthologie. Ebenso darin vertreten sind Texte und Bilder von: Kristina Andres, Martin Baltscheid, Aljoscha Blau, Antje Damm, Leonard Erlbruch, Karin Gruß, Uwe-Michael Gutzschhahn, Yvonne Hergane, Nikola Huppertz, Sergio Ingravalle, Heinz Janisch, Christa Kozik, Thilo Krapp, Tobias Krejtschi, Jonas Lauströer, Andrea Liebers, Sabine Lipan, Jochen Mariss, Sebastian Meschenmoser, Bart Moeyaert, Eva Muszynski, Julia Neuhaus, Nele Palmtag, Till Penzek, Hermann Schulz, Susanne Straßer, Sabine Wiemers, Dorota Wünsch, und Frank Zauleck.

Bunte Brücken lassen sich mit diesem wunderbaren Familienbuch ganz viele bauen – viel Freude beim Entdecken, Vorlesen und Verbinden.

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