Vom Ankommen und Bleiben – Die Geschwister Zaeri-Esfahani erzählen

Im Sommer ist es hier auf der Seite etwas ruhiger gewesen. Das Schreiben, Erzählen und Empfehlen war auf Reisen und so oft auch unter freiem Himmel an anderer Stelle und in wesentlich kürzer Form einfach besser möglich.

Nun habe ich allerdings schon auf die Gelegenheit gewartet, um dieses – mittlerweile bereits sechs Jahre existierende – virtuelle Sammelsurium an LeseEntdeckungen endlich wieder mit neuen Inhalten füllen zu können. Denn das ausführliche Schreiben bzw. Rezensieren liegt mir dann doch sehr am Herzen.

Bei einer Gelegenheit sollte es allerdings nicht bleiben, auch nicht nur bei einem Anlass oder Aufhänger. Nein, ein Erzählabend der besonderen Art soll nun der Grund für die folgenden, ausführlichen Zeilen sein. Ein Erzählabend der Geschwister Zaeri-Esfahani, der so wunderbar zum Motto der LeseEntdecker, nämlich Geschichten und Literatur erlebbar machen, passt und deswegen auch unter keinen Umständen hier fehlen darf. Genauso wenig wie die beiden Bücher, über die Mehrnousch Zaeri-Esfahani und Mehrdad Zaeri-Esfahani an diesem Abend gesprochen haben.

33 Bogen und ein Teehaus von Mehrnousch Zaeri-Esfahani und illustriert von Mehrdad Zaeri-Esfahani, erschienen im Peter Hammer Verlag.

Das Mondmädchen von Mehrnousch Zaeri-Esfahani und illustriert von Mehrdad Zaeri-Esfahani, erschienen im Knesebeck Verlag.

33 Bogen und ein Teehaus © Peter Hammer Verlag, Illustration: Mehrdad Zaeri-Esfahani
Das Mondmädchen © Knesebeck Verlag, Illustration: Mehrdad Zaeri-Esfahani


Als ich am frühen Abend aus der Straßenbahn steige, beginnt am Himmel bereits das farbenprächtige Schauspiel, für das der Herbst bekannt ist. Die veränderte Lichtbrechung, hervorgerufen durch die tiefer stehende Sonne und die kühle, klare Luft, tauchen die nassen Straßen in die schönsten Lila- und Orangetöne. Der Kulturpalast ist schon komplett beleuchtet und verspricht bereits zu diesem Moment einen besonderen Ausklang des Tages.

Der Erzählabend findet im Rahmen der Interkulturellen Tage in der Zentralbibliothek statt. Bevor es losgeht, stimmen wunderschöne Akkordeonklänge auf die Veranstaltung ein.

Und wie als könnte sie diese Klänge einfach fortführen, beginnt Mehrnousch Zaeri-Esfahani, kaum ist sie auf der Bühne, auch gleich mit einer unglaublichen Leichtigkeit zu erzählen.

Der Kulturpalast Dresden am Abend
Herbststimmung auf den Straßen
Erzählabend anlässlich der Interkulturellen Tage Dresden


Mehrnousch erzählt von der Schatzkiste des Lebens, die ein jeder von uns ab dem Tag der Geburt bei sich trägt und wie wir diese im Laufe des Lebens mit ganz verschiedenen Steinen bestücken, die auf unterschiedlichen Erinnerungen beruhen. Mit schönen, glänzenden und leichten Steinen, Perlen oder gar Goldstücken – aber auch mit dunklen, rauen oder sehr schweren Steinen.

Als sie dann ihre eigene Schatzkiste für die Zuhörer öffnet, sind wir bereits mitten in der Geschichte der Familie Zaeri-Esfahani, die Ende der 80er Jahre aus ihrer Heimat – dem Iran – fliehen muss und schließlich nach einem langen Weg über die Türkei in Deutschland ankommt. Die Chronologie, die der Leser in den beiden Büchern vorfindet, steht bei diesem lebendigen Vortrag allerdings nicht so sehr im Vordergrund. Vielmehr verbindet die Autorin dabei verschiedene einschneidende Ereignisse mit persönlichen Erinnerungen, lustigen wie auch traurigen Episoden und zeitgeschichtlichen Hintergründen.

Über all dem liegt die ganze Zeit eine ganz besondere Leichtigkeit und Hoffnung, obwohl sie natürlich immer wieder auch wirklich ergreifende, schwere und berührende Momente der Flucht beschreibt. Als Zuhörer spürt man von dieser Schwere nichts, auch wenn man sich ihrer natürlich bewusst ist. Man verliert sich in ihren Beschreibungen und kann so viel mit ihr lachen – ja das kann man wirklich. Und auch ihrem Bruder scheint es nicht anders zu gehen. Er steht an ihrer Seite, schmunzelt immer wieder, nickt zustimmend und genießt ihre Erzählung ebenso wie das Publikum. Mehrnousch Zaeri-Esfahani ist eine Geschichtenerzählerin, daran habe ich in den Reihen des Bibliotheksraumes keine Zweifel mehr.

Weiterhin erzählt sie, wie es ihr nach einigen Rückschlägen schließlich gelungen ist, sich in der Schule dazugehörig zu fühlen und was ihr und ihren Geschwistern bei der Integration wirklich geholfen hat. Für Mehrnousch waren es die Bücher und die großartige Schulbibliothek, in der sie sich nach und nach der deutschen und später auch der französischen Sprache angenähert hat.

Mehrdad und Mehrnousch auf der Bühne der Zentralbibliothek Dresden


Bei Mehrdad sah dieser Annäherungsprozess etwas anders aus und hatte auch damals schon mit seinem Zeichentalent zu tun. Davon beginnt er nun zu berichten und seine Schwester übernimmt den Part des zustimmenden und nickenden Zuhörers auf der Bühne. Seine Erzählungen lassen noch einmal einen anderen Blick auf die Familiengeschichte zu, berühren aber ebenso und sorgen auch hier wieder für jede Menge strahlende Gesichter im Publikum. Vor allem als er beginnt, auf seine ganz eigene Art und Weise zu erzählen und den Stift über das weiße Papier fliegen zu lassen. Was dabei der Zufall für eine Rolle spielt, davon sollte sich jeder bei einem seiner Auftritte selbst überraschen und inspirieren lassen. Nur soviel: Fehler sind Chancen, sagt er. Ein Satz, den ich mir von diesem Abend mitgenommen habe und den er, so hoffe ich, vor allem den Kindern und Jugendlichen in seinen Workshops immer und immer wieder ans Herz legen wird.



Mehrnousch und Mehrdad vor der titelgebenden Brücke in Isfahan


Einige der Anekdoten aus diesem schönen Abend sind natürlich auch direkt in Mehrnouschs Romanen zu finden. Beide Bücher haben ihren autobiografischen Hintergrund, auch wenn sie unterschiedlicher nicht sein könnten.

33 Bogen und ein Teehaus ist aus der Sicht ihres jungen Ichs geschrieben und beschreibt den Weg der Familie aus ihrer Heimat bis nach Deutschland ungeschönt, aber hoffnungsvoll und auch hier mit viel Leichtigkeit zwischen den Zeilen.

Eine Besonderheit des Buches ist die Unterteilung der Kapitel. Sechs Städte führen die jungen Leserinnen und Leser durch die Geschichte der Familie Zaeri-Esfahani. Eine Stadt davon gibt es heute nicht mehr. Zwei tragen denselben Anfangsbuchstaben – die eine war einst Heimat, die andere Abenteuer. Eine weitere war lange Zeit geteilt und die zwei verbleibenden sind Städte des Ankommens und Bleibens – damals und heute. Ein großartiger roter Faden, den Mehrnousch Zaeri-Esfahani da durch ihren Roman gezogen hat. Die feinen, aber besonders eindrücklichen Kapitelvignetten von Mehrdad unterstützen diese kluge Aufteilung noch einmal extra.

Innenseite aus: 33 Bogen und ein Teehaus © Peter Hammer Verlag,
Illustration: Mehrdad Zaeri-Esfahani
Textdetail aus: 33 Bogen und ein Teehaus © Peter Hammer Verlag


Mehrnousch Zaeri-Esfahani schreibt in ihrem doch relativ dünnen Roman inhaltlich wie auch sprachlich unheimlich umfang- und facettenreich. Die Beobachtungen des kleinen Mädchens von damals ermöglichen ein sehr differenziertes Bild der Umstände, der Gefühlswelt der Familienmitglieder oder aber auch der Tragweite für deren Zukunft. Damit ist der Roman aktueller denn je, eine besondere Chance für Begegnung und große Hilfe, um nachzuvollziehen, was es bedeutet, seine Heimat zu verlieren und in einem fremden Land anzukommen.

Innenseite aus: 33 Bogen und ein Teehaus © Peter Hammer Verlag,
Illustration: Mehrdad Zaeri-Esfahani
Detail aus: 33 Bogen und ein Teehaus © Peter Hammer Verlag,
Illustration: Mehrdad Zaeri-Esfahani


Das Mondmädchen ist nun das fantastische Gegenstück zum autobiografischen Roman und erzählt die Geschichte unter dem Zelt der Vorstellungskraft und der Träume.

In einem fernen Kaiserreich macht sich ebenso eine Familie auf den ungewissen Weg in ein unbekanntes Land. Die älteste Tochter ist die kleine Mahtab, deren besondere Fähigkeiten von großer Bedeutung für den Ausgang dieser Reise sein werden.

Sie vermag es mit den Tieren zu sprechen – vor allem mit ihren geliebten Katzen, darf eine kleine Fee mit blauen Haaren ihre Freundin nennen und kennt das geheime Land Athabasca.

Vorsatzpapier aus: Das Mondmädchen © Knesebeck Verlag
Illustration Mehrdad Zaeri-Esfahani
Detail aus: Das Mondmädchen © Knesebeck Verlag
Illustration Mehrdad Zaeri-Esfahani


Obwohl viele Passagen viel düsterer anmuten als bei 33 Bogen und ein Teehaus lassen die märchenhaften Züge ganz eigene Bilder im Kopf entstehen und nehmen der Dunkelheit etwas ihre Tiefe.

Wie oft habe ich mich schon gefragt, was in Kindern vorgehen muss, die von heute auf morgen ihre Heimat verlassen müssen. Die ihre kleinen und großen Kostbarkeiten zurücklassen müssen, um meist bei Nacht eine Reise anzutreten, deren Grund sie noch überhaupt nicht fassen können. Wie halten diese Kinder diese beängstigende Ungewissheit aus? Wie begegnen sie dem Fremden und der Gefahr, die allgegenwärtig ist? Mehrnousch Zaeri-Esfahani zeigt einen Weg auf, der genügend Spielraum lässt, um es der kleinen Mahtab gleich zu tun.

Ein sehr berührendes Buch mit tollen Sprachbildern und wunderschönen Illustrationen von Mehrdad Zaeri-Esfahani, die diesmal mehr Raum einnehmen und zum Nachdenken und Träumen anregen.

Innenseite aus: Das Mondmädchen © Knesebeck Verlag
Illustration Mehrdad Zaeri-Esfahani
Innenseite aus: Das Mondmädchen © Knesebeck Verlag
Illustration Mehrdad Zaeri-Esfahani


Um den Erzählabend zu genießen, muss man nicht unbedingt vorher die Bücher gelesen haben. Aber es ist eine tolle Erfahrung, wenn man die Geschichte bereits zu kennen meint und dann von Mehrnouschs und Mehrdads Erzählungen noch einmal überrascht wird und Dinge erfährt, die nur sie persönlich so rüberbringen können. Wie zum Beispiel ihre Motivation, an solchen Abenden zu zeigen, dass Integration nur funktionieren kann, wenn beide Seiten mit vollster Anstrengung und Rücksicht aufeinander ein gemeinsames Ziel erreichen wollen.

Für mich war dieser Herbstabend eines der schönsten literarischen Erlebnisse des Jahres, was sicher auch der tatsächlichen Begegnung mit der Autorin und dem Illustrator zu verdanken ist. Denn am Ende sind es nun einmal die Begegnungen mit den Menschen, die das Leben lebenswert machen. (Guy de Maupassant)

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