Jedes Jahr aufs Neue entstehen im Herbst hinter verregneten Fenstern, an gemütlich beleuchteten Tischen oder kleinen Werkbänken im Garten unzählige, kleine Herbstwesen direkt aus der Natur – geschaffen mit größter Sorgfalt und viel Mühe von kleinen schmutzigen Händen, weil sie sich zuvor jede Menge Naturmaterial zusammengesucht haben. Ganze Generationen an Kastanienfrauen oder Stockmännern, Zapfenkindern oder Eicheltieren sind da wohl im Laufe der Zeit entstanden.
Ein neues Bilderbuch macht diese kleinen Herbstfiguren nun zu den Helden einer, mit unheimlich viel Liebe erzählten, Geschichte und lädt zum großen Nachbasteln ein.
Die Waldlinge von Maria Stalder, erschienen bei Atlantis.
Die Waldlinge, so wie Maria Stalder diese kleinen Naturkunstwerke nennt, werden im Buch, noch in der Titelei und bevor die Geschichte überhaupt richtig begonnen hat, von den Kindern gebastelt. Danach finden sie sich mitten im Wald wieder und obwohl sie ja aus Teilen von ihm geschaffen sind, fühlen sie sich erst einmal etwas Fehl am Platz. Vor allem als sie ein Gewitter überrascht und sie sich gerade noch so unter einen großen Pilz retten können. Zum Glück kommen ihnen die Waldtiere zur Hilfe und zeigen ihnen, wie es sich im Wald gut leben lässt.
Dabei lernen die jungen LeserInnen nach und nach alle Waldlinge kennen – den Hirsch, die lustigen Nusslinge, Zirbel und Ragnar, die beiden Hauptfiguren und schließlich Frau und Herrn Tannzapf. Allen gibt Maria Stalder in ihren gefühlvollen und bezaubernden Illustrationen von Anfang an ein Wesen, ja gar Charaktereigenschaften, die für den Fortgang der Geschichte von großer Bedeutung sind.
Gemeinsam mit den Tieren bauen sich die Waldlinge ein Zuhause, das sie vor Wind und Wetter schützen soll. Sie suchen und sammeln Baumaterial, sind fleißig und sehr erfinderisch. Nur bei Zirbel und Ragnar sorgt ein besonders stabiles Brett für einen großen Streit und erschüttert die ganze gebastelte Gemeinschaft. Werden sich Zapfenkind und Birkenmännlein wieder versöhnen?
Die Idee, aus kleinen Bastelarbeiten der Kinder eine Geschichte zu kreieren, zeugt von einer großen Zugewandtheit der kindlichen Kreativität gegenüber und ermöglicht es hervorragend eine Brücke zwischen Literatur und Kunst herzustellen – von der kleinen Naturskulptur zum Text und von da aus wieder zu neuen, davon inspirierten Figuren.
Getragen wird die Handlung neben dem Waldbezug von Themen wie Freundschaft, Versöhnung und Miteinander. Schlicht und mit wenigen Zeilen erzählt Maria Stalder, warum es sich lohnt nach einem Streit aufeinander zuzugehen und wie schön es ist, die Dinge gemeinsam zu erleben.
Beim Vorlesen vor kleinen Gruppen bietet es sich natürlich besonders schön an, die Waldlinge in tatsächlicher Gestalt selbst durch die Geschichte führen zu lassen. Bei meiner letzten Kindergartengruppe habe ich das getan und war begeistert, für wie viel Spaß Zirbel, Ragnar und Co bei den kleinen LeseEntdeckern gesorgt haben.
Das große, ganzseitig illustrierte Finale kommt schließlich sogar ohne Worte aus und zeigt dafür in den schönsten Farben und ausgestattet mit witzigen Details ein ganz besonderes Fest. Ein Fest, so wie wir es zwar gerade nicht so recht feiern können, dessen Zeit aber auch wieder kommen wird. Und dann tun wir es den Waldlingen gleich, stellen eine große Tafel auf und feiern die Leuchtkraft von Geschichten und von Fantasie.