Wo eine Reise nach Nirgendwo dich überall hinführt – Endlich wieder Theater

Als ich mich bei schönstem Sonnenschein auf der Wiese vor dem Sonnenhäusel mit dem Dramaturgen Christoph Macha treffe, um über seine neueste Inszenierung am tjg. Dresden zu sprechen, erzählt er mir gleich am Anfang, wie aufgeregt alle waren, als sie nach der langen Pause endlich wieder vor Kindern proben konnten. Und auch ich bin aufgeregt, so kurz vor meiner ersten Premiere nach einer gefühlten Ewigkeit. Natürlich im positiven Sinne, denn schließlich geht es jeden Moment wieder los – die Kinder rutschen gespannt auf ihren Plätzen herum, bis die Glocke dreimal ertönt. Und dann heißt es endlich wieder Eintauchen in das Unmittelbare und Vielfältige der Theaterkunst.

Schauplatz diesmal ist der hübsche Herzwald im Land der Träume und das junge Publikum wird Zeuge der Geburt eines ganz besonderen Wesens.

Das NEINhorn von Marc-Uwe Kling und illustriert von Astrid Henn, erschienen im Carlsen Verlag – am tjg. auf die Bühne gebracht von Christoph Macha und Johanna Zielinski.

Das NEINhorn © Carlsen Verlag, Illustration: Astrid Henn vor dem NEINhorn des tjg. auf der Bühne des Sonnenhäusels im Großen Garten in Dresden


Die Scheinwerfer vorm Sonnenhäusel sind auf die idyllische, neonbunte Welt der Einhornfamilie gerichtet. Dort ist alles mega. Mega sonnig, mega organisiert und alle sind mega glücklich. Alle, außer das NEINhorn – das fühlt sich viel zu oft am falschen Ort. Gerade erst das Licht der Welt erblickt und schon mit lauter Angeboten und Vorschlägen seiner Familie konfrontiert, die es überhaupt nicht für gut empfindet. Nein ist daher auch die einzige Antwort, die es ständig von sich gibt. Und dabei ähnelt es seinen Eltern rein äußerlich doch so sehr. Seine Mähne bauschig und sein Fell superflauschig. Das Einhorn glitzert schon von Weitem und die Regenbogenfarben leuchten von allen Seiten.

Ja, und auch all das Gereime, das Marc-Uwe Kling so klug und elegant in der Bilderbuchvorlage geschaffen hat und das sich, laut Christoph Macha, auch fürs Kindertheater so großartig eignet, passt dem NEINhorn nicht. Nein, es will nicht reimen und schon gar nicht in Reimen und diversen Sprachspielen von Dingen überzeugt werden, die es eben nicht will. Es schaut dann meist mürrisch und bekommt immer mehr schlechte Laune. Weil schlechte Laune auf Dauer aber für niemanden gut ist, entschließt sich das widerborstige Tier aus dem Herzwald abzuhauen.

Spot an für das NEINhorn im Sonnenhäusel
Innenseite aus: Das NEINhorn © Carlsen Verlag, Illustration: Astrid Henn vor dem NEINhorn des tjg. (gespielt von Carlo Silvester Duer, entworfen von Thurid Goertz, Birgit Hesse und Laura Sanwald)
Das NEINhorn mit Tante vor dem neonbunten Einhornidyll im Herzwald aus: Das NEINhorn © tjg. Dresden, Foto: Marco Prill


Drei Erzähler führen die Kinder durch das Stück und erwecken die großartigen Puppen zum Leben. Neben dem NEINhorn, das eine komplett eigenständig und sehr aufwendig gebaute Spielpuppe ist, sind das außerdem noch der WASbär, der NAhUND und die KönigsDOCHter, die allesamt aus ausgedienten Alltagsgegenständen – also sehr nachhaltig – vor allem aber herrlich individuell vom Team der tjg.-Werkstätten erschaffen wurden. Legt man hier die zugrundeliegenden Illustrationen aus dem Buch daneben, zeigt sich welche Bereicherung das Brückeschlagen von einer Kunstform zur anderen sein kann.

Der Ablauf ist zudem einfach gehalten und mit seiner linearen Struktur einer Reise nach Nirgendwo auch schon von jungen ZuschauerInnen ab 4 Jahre gut nachvollziehbar. Das NEINhorn wandert los und begegnet auf seinem Weg neuen Geschöpfen, die schließlich zu seinen FreundInnen werden. Zuerst ist da der WASbär, bei dem man meinen könnte, er sei schwerhörig – sein ständiges Nachfragen aber viel eher daher rührt, dass er so manches einfach nicht auf Anhieb verstehen will. Und diesem etwas eigensinnigen Gefährten folgt schließlich noch der NAhUnd, dem alles herzlich egal ist. Bessere Verbündete könnte man dem NEINhorn nicht wünschen.

Innenseite aus: Das NEINhorn © Carlsen Verlag, Illustration: Astrid Henn
Innenseite aus: Das NEINhorn © Carlsen Verlag, Illustration: Astrid Henn vor dem NEINhorn des tjg. (gespielt von Carlo Silvester Duer, entworfen von Thurid Goertz, Birgit Hesse und Laura Sanwald)
Das NEINhorn lernt den WASbär kennen aus: Das NEINhorn © tjg. Dresden, Foto: Marco Prill


Gemeinsam führt die Reise die neuen Freunde von einem spannenden Schrottplatz, auf dem man die herrlichsten Buden bauen kann, über den großen Ozean, der übrigens von Uwe Steinbach auf großartige Art und Weise und mit nur ganz wenigen Mitteln zum Leben erweckt wird, bis hin zu dem Turm, auf dem die KönigsDOCHter auf ihre Retter wartet.

Der Einsatz von simplen Requisiten und das Reduzieren auf einfache Materialien ist immer wieder etwas, das ich am tjg. wirklich sehr mag. Denn die Kinder erleben dabei, dass ihre Art und Weise des Spielens genau richtig ist – ja, sogar bühnenreif. Und das sagt auch Christoph Macha in unserem Gespräch – dass Kinder nichts Vorgefertigtes brauchen, um sich dem Spielen, ihrer Neugier und dem Entdecken hinzugeben. Da reichen ein paar Kartons, eine alte Decke oder ein ausgedienter Wischmopp, um eine Geschichte entstehen zu lassen – sei es als ZuschauerInnen oder eben als SpielerInnen. Aber das tjg. wäre auch nicht das tjg., wenn es nicht auch ein paar wirklich coole Effekte gäbe. Die sind zwar auch einfach gehalten, beeindrucken aber umso mehr.

Der NAhUND, das NEINhorn und WASbär auf großer Reise aus: Das NEINhorn © tjg. Dresden, Foto: Marco Prill


Alles in allem waren an diesem Nachmittag sicher alle Beteiligten beseelt von diesem wunderbaren Neustart in Sachen Theater für Kinder und Jugendliche in Dresden. Es hat so sehr gefehlt – die Vorfreude auf ein Stück, die überraschenden Momente während der Vorstellung, das feierliche Gefühl und vor allem natürlich das Lachen und die klatschenden Hände des jungen Publikums.

O-Ton eines jungen Zuschauers: “Diesmal habe ich so lange geklatscht, dass mir die Hände ganz weh tun. Ist aber nicht schlimm, war ja so schön.”

In diesem Sinne, hoffen wir, dass das tjg. alle für dieses Jahr geplanten Inszenierungen – wie angedacht – ganz analog auf die Bühne bringen kann. Mit dem NEINhorn ist ein wunderbarer Start gelungen. Ein Start, der einmal mehr zeigt, wie wichtig es ist, sich nicht verbiegen zu lassen und die Verschiedenheit untereinander als Bereicherung zu verstehen.

Der NAhUND, das NEINhorn und WASbär auf großer Reise aus: Das NEINhorn © tjg. Dresden, Foto: Marco Prill

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