Zu Besuch im Buchsegler

GesprächUnser Hauptstadtbesuch im Sommer hat uns auch zum schönen Florakiez in Pankow geführt. Denn wir wussten, in der Florastraße 88/89 trifft man immer auf wahre LeseEntdecker – kleine wie auch große. Dort betreibt Wiebke Schleser den Kinderbuchladen Buchsegler. Ein Kinderbuchladen, von dem wir schon so viel gehört oder gelesen hatten, dass ein Besuch eigentlich längst überfällig war. Berliner Kinderbuchhandlung des Jahres 2014, avj – Kinderbuchhandlungspreis 2014, Baustellenlesung, Illustrations-Ausstellung und Lesecrew – alles Stichwörter, die uns haben aufhorchen lassen.

Nun war es also soweit und wir standen vor dem kleinen Lädchen mit der offenen Tür und freuten uns auf unsere Begegnung mit Wiebke, die uns schon in ihren E-Mails so sympathisch war. Ein Interview hatten wir vereinbart – stattgefunden hat dann aber ein sehr herzliches und offenes Gespräch, an das wir uns noch lange erinnern werden. Im Folgenden haben wir es nun für euch aufgeschrieben, damit auch ihr mehr über diesen besonderen Ort und die Frau dahinter erfahren könnt – eine echte LeseEntdeckerin.

SONY DSCBegrüßt werden wir, wie gute Bekannte – sofort fühlen wir uns wohl, streifen noch etwas durch den kleinen Laden und lassen erst einmal alles auf uns wirken. Anschließend kann sich Wiebke kurz aus dem Ladengeschäft zurückziehen und beginnt uns zu erzählen.

Seit fünf Jahren leitet sie den Buchsegler nun schon. Entstanden ist die Idee einer eigenen Buchhandlung nach der Geburt ihres zweiten Sohnes. “Meine Jungs haben im wahrsten Sinne des Wortes  immer mit meiner Entwicklung und meinem Dasein zu tun – sie sind Meilensteine”, erzählt sie uns. Durch sie – so erfahren wir – hat sie sich jeweils auch beruflich neu orientiert und verspürte das Bedürfnis nach Veränderung. Nach ihrem ersten, mittlerweile 15jährigen Sohn schult sie von der Zahntechnikerin noch einmal zur Ergotherapeutin um. Als sie 2008 zum zweiten Mal Mutter wird, verliebt sie sich in den Gedanken eine Buchhandlung zu eröffnen – aus Überzeugung heraus und weil sie während einer längeren ergotherapeutischen Tätigkeit in der Schweiz erlebt hat, was das Medium Buch in der Therapie bedeuten und bewirken kann. Schnell steht fest, wenn dann soll es eine Kinderbuchhandlung sein. Und so startet sie gemeinsam mit ihrer Schwester, die gelernte Buchhändlerin ist, im Sommer 2009 das Abenteuer Kiezbuchhandlung.

SONY DSCDabei liegt ihr vor allem am Herzen “das Buch ans Kind” zu bringen – das stehe im Vordergrund ihrer Tätigkeit, erzählt sie uns. Auf verschiedenen Wegen möchte sie den Kindern zeigen, dass lesen genauso zum Leben gehört, wie schlafen, essen und Luft holen. Dafür geht sie auch oft in Kindergärten und Grundschulen – liest vor und organisiert kleinere Veranstaltungen.

„Wichtig ist mir »Buch ans Kind«, weil Bücher
Nahrungsmittel sind – im wahrsten Sinne des Wortes.“

 

Auch dem E-Book und anderen digitalen Leseangeboten steht Wiebke komplett offen gegenüber. Denn in ihren Augen bereichern diese nur den selbstverständlichen Umgang mit Texten und Literatur. Wichtig ist ihr das Lesen an sich – in welcher Form auch immer. Natürlich sei ihr persönlich das haptische Erlebnis wichtig, erklärt sie – besonders im Bilderbuchbereich. Deswegen verteufele sie aber nicht die anderen Formate – auch sie haben Berechtigung und bereichern mit ganz eigenen Facetten.

Beim Anhören unserer Tonbandaufzeichnungen hört man im Hintergrund immer wieder zartes Kindergequäke. Wir tippen unser Gespräch ab und die kleinen Kunden von Wiebke sind irgendwie mit dabei. Das nur so als kleiner Einwurf an dieser Stelle, weil es uns ganz außerordentlich gut gefällt.

Weiter im Gespräch – wir kommen zum Sortiment des Buchseglers. Wiebke spricht über ihren Anspruch dem Laden eine gewisse Tiefe, aber auch Breite zu verleihen. Auf der einen Seite findet man im Buchsegler also viele besondere und außergewöhnliche Titel, auf der anderen Seite aber auch eine breite Auswahl an Autoren und Formen des Kinder- und Jugendbuches. Stapel sucht man allerdings vergeblich – im Buchsegler gleicht kein Buch dem anderen. Nur so könne man den Kindern in einem kleinen Laden die ganze Bandbreite zeigen, erklärt uns Wiebke. Und das ist ihr ein wirklich wichtiges Anliegen. Sie möchte ihnen zeigen, was es alles gibt und was möglich ist, um ihnen dabei zu helfen einen Geschmack oder eine Idee von Literatur zu entwickeln – ohne dabei aber Literatur zu hoch zu setzen. Sie sagt: “Auch das Wimmelbuch ist Literatur Punkt.”

SONY DSCSONY DSCUns interessiert vor diesem Hintergrund natürlich Wiebkes regelmäßige Sortiments- und Bücherauswahl unter all den vielen Neuerscheinungen, die jedes Jahr veröffentlicht werden.

Wiebkes Antwort passt dann sehr gut zu all dem, was sie bereits erzählt hat. Sie entscheide viel intuitiv und aus dem Bauch heraus, verrät sie uns. Natürlich versuche sie so viel wie möglich zu lesen. Auf etwa 250 Bücher komme sie im Jahr – reine Kinder- und Jugendliteratur. Da dürfe sie aber nicht so viel rechts und links zu tun haben.
Sehr wichtig ist ihr in diesem Zusammenhang der Austausch mit einem festen Kreis an Kinderbuchfrauen. Man kennt sich gut und gibt untereinander Empfehlungen. So manche Entscheidung, ob ein Titel in den Buchsegler gehört oder nicht, trifft Wiebke durch diese sehr rege und intensive Zusammenarbeit.

Backlist-Titel, die sie nicht kennt, versucht sich Wiebke im Nachgang anzueignen – aber das gehe natürlich nicht immer. Bei Reihen liest sie meistens immer nur einen Teil, damit sie ungefähr eine Idee davon hat und entscheidet so, ob und in welchem Umfang diese Reihe in den Laden passt. Wenn etwas nicht funktioniert, dann wird es auch wieder rausgenommen – da ist Wiebke nicht starr.

“Ich habe bestimmt viele Strukturen, die mir wichtig sind.
Wie bei einem Billardtisch bilden die aber nur die Bande.
Innen gibt es viel Spielfläche.”

 

Als Quereinsteigerin entscheide sie unorthodox, wie sie selbst erklärt. Ihre Herangehensweise sei oft eine andere, wie bei Kollegen, die den Buchhändlerberuf von Grund auf gelernt haben. Doch wir finden gerade davon lebt ihre Buchhandlung in besonderem Maße. So gibt es zum Beispiel auch keine strikte Unterteilung und Beschriftung der einzelnen Bereiche im Laden. Lediglich auf Augenhöhe der Eltern ist an den Regalen eine grobe Altersempfehlung angebracht. Ansonsten lebt die Buchhandlung von der intuitiven Wahrnehmung der wohl überlegten Anordnung, die sich von ganz allein einstellt, betritt man den Raum. Von links nach rechts gelangt man von den Pappen, über die Vorlese- und Sachbücher erst zu den Lieblingsbüchern und der Erstleseliteratur und schließlich zum Kinder- und Jugendbuch. Einen kleinen Bereich mit Elternliteratur gibt es außerdem.

“Ich liebe es, wenn man in einer Buchhandlung
einfach sein kann – wenn man stöbern darf.”

 

Bewusst hat sich Wiebke gegen eine alphabetische Sortierung entschieden, denn sie findet es schön, wenn man von einem zum anderen stolpert und sich treiben lassen kann. Sie erklärt uns dazu: “Wir haben so wenig Zeit in so vielen Dingen und wir sind immer irgendwie unter Strom – immer irgendwie gestresst. Im Buchladen soll man sich die Zeit nehmen und eintauchen können. Das heißt auch Sinne aufmachen und wahrnehmen – eben treiben lassen. Deswegen forciere ich das etwas, dass es nicht sortiert ist. Wer damit nicht kann, der kommt und fragt. Aber Grundtenor soll sein: Komm und lass dich treiben.”

SONY DSCSONY DSCUnd dann kommen wir noch einmal auf die Anfänge des Buchseglers zu sprechen. Wiebke erzählt uns davon, wie wichtig ihr von Anfang an die Einrichtung und die Atmosphäre des Ladens war. Anders sollte er sein – keine Ikea-Möbel, auch wenn nicht viel Geld da war. Der Hintergrund sollte stimmig sein, damit man sich als Kunde gleich wohlfühle, erklärt sie uns. Keine erdrückenden Decken, grellen Lichter oder Regale, die einen anspringen. Wiebke wollte einen Laden, der sich auf die Bücher reduziert und sie vollkommen zur Geltung kommen lässt. Und auch wenn es sich dabei um Kinderbücher handelt – eine quietschebunte und grelle Gestaltung war dafür aus Wiebkes Sicht nicht anstrebenswert. Denn diese würde nicht nur die Eltern, sondern vor allem auch die Kinder überfordern. Wohlfühlen sollen sie sich aber beide – zu gleichen Teilen.

Und so ist der Buchsegler nun auch vorzufinden. Zurückgenommen, klar und fast ausschließlich von den Büchern gestaltet. Lässt man die Buchinhalte kurz außer Acht, könnte man fast sagen eine Buchhandlung für Erwachsene – aber eben nur fast. Denn Wiebke hat natürlich für bestimmte Inseln innerhalb des Raumes gesorgt, die nur für die kleinen LeseEntdecker gedacht sind. Die schönste davon ist das extra für den Laden angefertigte Buchsegler-Holzschiff, das beladen mit Büchern zum Entdecken und Schmökern einlädt.

SONY DSCSONY DSCDer Name der Kinderbuchhandlung war lange nicht klar. Entstanden ist er dann aber durch Wiebkes große Liebe zum Meer. Sie berichtet uns davon, dass sie ursprünglich aus Güstrow stammt und sich dem Meer immer schon unglaublich nahe gefühlt hat.

“Andere Leute gehen auf Berge um klarzukommen.
Für mich ist es das Meer. Das hat so alles.
Tiefe und Weite. Außerdem macht es den Kopf frei.
[…] Es ist für mich ein Stück Zuhause.”

 

Deswegen also Buchsegler – ein sehr schöner Hintergrund, wie wir finden. Zwei Leidenschaften, die zusammen für ein Herzensprojekt stehen. Das spürt man im Gespräch und im ganzen Laden.

Zum Ende hin haben wir dann noch über Wiebkes Engagement im Bereich Leseförderung gesprochen und einige Details zur Lesecrew erfahren. Den noch recht jungen Leseclub des Buchseglers gibt es seit Frühjahr diesen Jahres. Schon länger spielte Wiebke mit dem Gedanken regelmäßig eine Kinderschar um sich herum zu versammeln, um mit ihr über Bücher und Geschichten reden zu können. Lange ist es nicht zustande gekommen, da sie sich immer unsicher war, ob sie die zusätzliche Arbeit leisten kann. Nun freut sie sich aber sehr, das Projekt doch gestartet zu haben.

Nach einem Aufruf waren auf einmal ganz viele Kinder (8-12 Jahre) da und es entwickelte sich zum Selbstläufer. Alle sechs Wochen trifft sich die Lesecrew nun im Buchsegler und bespricht die gelesenen Titel – es werden Tipps gegeben und angenommen. Die Kids haben einen Ort für sich und bekommen ein Gefühl für Literatur. Unterstützung bekommt Wiebke von einer jungen Lehrerin, die sich auch um das dazugehörige Rezensionsportal kümmert.

Zu hören gibt es einge Empfehlungen der Lesecrew-Kids sogar regelmäßig hier – im Kinder-Radio Kakadu.

SONY DSCAuf unsere Frage, was sie sich für die Zukunft wünscht, antwortet Wiebke ohne großes Überlegen: “Erstmal, dass wir alle gesund bleiben – das ist eine ganz elementare Geschichte. […] Außerdem, dass wir das Lachen nicht verlieren und dass die Leute etwas achtsamer miteinander umgehen – das würde ich mir wünschen. Und dann würde ich mir wünschen (überlegt kurz): ja, dass wir gesund bleiben!”

Und eigentlich gibt es dem auch wirklich nichts mehr hinzuzufügen. Ohne die notwendige Gesundheit lassen sich die wunderbarsten Projekt und Vorhaben nicht umsetzen. Und von einem ganz persönlichen Projekt, das Wiebke in naher Zukunft anstrebt, erzählt sie uns anschließend noch. „Mir ist in meinem Leben sehr viel Positives widerfahren – ich habe immer Leute getroffen, die sehr offen waren und mich unterstützt haben. Jetzt bin ich im Sommer 5 Jahre mit dem Laden und da ist die Grundidee meinen Ausbilderschein nachzuholen, damit ich einen Azubi aufnehmen kann. Dafür benötige ich allerdings noch einen Partner mit Vollsortiment, bei dem der Auszubildende alles andere ebenso lernt wie bei mir.”

Und mit diesem wirklich spannenden Ausblick in die Zukunft des Buchseglers sind wir auch schon fast am Ende unseres Gespräches angelangt. Nur noch unsere letzte, obligatorische LeseEntdecker-Frage nach den drei liebsten Kinderbüchern fehlt. Wiebke macht große Augen. Eigentlich könne sie das nicht sagen, lässt sie uns wissen. Wir verstehen das natürlich allzu gut, wollen aber trotzdem drei Bücher wissen, die sie besonders mag und die sie gern noch in unseren EntdeckerKoffer packen würde. Hier ihre Auswahl:

Der Zauberer von Oz illustriert von Lisbeth Zwerger

Erebos von Ursula Poznanski

Die Karlsson-Kinder: Spukgestalten und Spione von Katarina Mazetti

 

Noch bei der Verabschiedung kommt es uns so vor, als würden wir uns schon in ein paar Tagen wiedersehen. Als wäre der Buchsegler unsere Kiezbuchhandlung um die Ecke. Ist sie leider nicht – aber in Gedanken allemal. Vielen Dank liebe Wiebke für diesen tollen Einblick in deine Arbeit und den wirklich herzlichen Empfang.

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