Mit Büchern bunte Brücken bauen (Teil V)

Es gibt diese Bücher, bei denen man beim Vorlesen selbst auf jeder Seite mindestens einmal innehält und ganz ergriffen beginnt den Kopf zu schütteln, weil das eben Gelesene etwas so treffend und so berührend beschreibt, dass man sich nur wundern kann, warum das zuvor noch nie jemand so gesagt oder gedacht hat.

Um ein solches Buch soll es in diesem Beitrag nun gehen und ich greife ein wenig vorweg, indem ich schon einmal verrate, dass diese Tatsache vor allem daran liegt, dass wir es hier mit größter Harmonie zwischen Text und Bild zu tun haben. Das Staunen bezieht sich immer wieder auf das Zusammenspiel zwischen Gelesenem und Illustriertem. Eine wunderschöne Bilderbuchkomposition.

Wenn die Jahreszeiten träumen von Haddy Njie und Lisa Aisato, übersetzt aus dem Norwegischen von Neele Bösche und erschienen im Atrium Verlag.

Wenn die Jahreszeiten träumen ©Atrium Verlag, Illustrationen: Lisa Aisato


Vielleicht mag die Harmonie darauf beruhen, dass es sich hier um das Werk zweier Schwestern handelt. Von der einen stammt der Text, der wiederum von der anderen in ihre ganz eigene Bildsprache übersetzt wurde. Und genau diese Bildsprache war auch der eigentliche Grund, warum ich auf dieses Buch aufmerksam geworden bin. Die Illustrationen von Lisa Aisato begeistern mich spätestens seitdem sie Die fantastische Geschichte der Astrid Lindgren mit ihren Bildern so neu und besonders nacherzählt hat. Ihre Figuren sind unverwechselbare Charaktere mit unheimlich viel Ausdruck und verleihen den Geschichten jede Menge Kraft und Authentizität.

Genau davon zeugt aber auch schon der Text von Haddy Njie allein. Die Autorin erzählt darin den Lauf des Jahres, indem sie die vier Jahreszeiten personifiziert und sie schlafen, träumen und schließlich erwachen lässt. Die Träume der Jahreszeiten verraten zudem typische Begleiterscheinungen und so manch besonderes Detail dieser Zeit im Jahr. Eine wirklich außergewöhnliche Herangehensweise, weil sie schon nur vom Text her herrlich viele Sinne anspricht. Die regelmäßigen Wiederholungen und die Reimform im Text geben dem Gelesenen schließlich noch eine wunderschöne Melodie, für die in der deutschen Ausgabe vor allem die sprachlich großartig gestaltete Übersetzung von Neele Bösche verantwortlich ist. Hier werden viele kleine LeseEntdecker aufhorchen, den es lassen sich einige Wörter finden, die sehr besonders sind und deren Klang in jedem Fall nachhallen wird.

Innenseite aus: Wenn die Jahreszeiten träumen ©Atrium Verlag, Illustrationen: Lisa Aisato
Innenseite aus: Wenn die Jahreszeiten träumen ©Atrium Verlag, Illustrationen: Lisa Aisato


Um diesen Lauf der Jahreszeiten zwischen schlafen, träumen und wieder erwachen nun schließlich zu bebildern, hat Lisa Aisato drei Bildebenen geschaffen. Einmal begleiten wir zwei Geschwister dabei, wie sie von Frühling bis Winter immer wieder ein und denselben Baum inmitten einer großen Wiese besuchen, um dort zu schaukeln und die Wunder der Natur zu entdecken. Die zweite Ebene ist wohl die offensichtlichste von allen dreien, denn dort lernen wir die Jahreszeiten höchstpersönlich kennen. Und das macht richtig Spaß. Man erkennt das Wesen von Frühling, Sommer, Herbst und Winter sofort wieder – das Verspielte und Fröhliche, ja fast Übermütige des Frühlings, das Sonnige und Ausgelassene des Sommers, die Anmut und Farbenpracht des Herbstes und die Ruhe des Winters, die alles zudeckt und Geborgenheit schenkt.

Wenn die Jahreszeiten träumen ist damit natürlich wie dafür gemacht, um es auf dem Jahreszeitentisch zu platzieren und es mit jedem Jahreszeitenwechsel erneut zur Hand zu nehmen. Das besonders Spannende ist dann aber vor allem das Zurück- und das Vorausschauen, was für eine sehr schöne Verinnerlichung des Jahreskreislaufes sorgt.

Detail aus: Wenn die Jahreszeiten träumen ©Atrium Verlag, Illustrationen: Lisa Aisato


Die dritte und womöglich sogar die wichtigste Ebene im Buch ist der direkte Bezug zu den kleinen LeseEntdeckern, die sich natürlich selbst inmitten dieses immer wiederkehrenden Kreislaufes der Jahreszeiten befinden – sich mit ihnen wandeln, schlafen, träumen und wieder erwachen. Sie werden direkt angesprochen und sogar abgebildet – als schlafende Kinder, zugedeckt mit einer Wiese, gewebt von der jeweils herrschenden Jahreszeit. Und das alles wirkt fast spielend in die anderen Bildebenen integriert, sodass man sich in den Illustrationen wirklich verlieren und eigentlich nur noch staunen kann.

Detail aus: Wenn die Jahreszeiten träumen ©Atrium Verlag, Illustrationen: Lisa Aisato


Wo gestern noch gefrorene Erde war, sprießen heute Blätter und Blumen – nur um morgen in voller Schönheit zu erstrahlen, später wieder zu verblühen und erneut eine Zeit der Stille einzuläuten, in der die Natur Kraft für Neues schöpfen kann.

Genau das ist es, was dieses dünne Büchlein auf ganz besondere Art und Weise erzählt. Ich wünsche mir, dass es überall auf der Welt zu einem modernen Klassiker wird, der es wiederum vermag bunte Brücken zu schlagen.

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